Krieg – Wozu er gut ist
aggressiv für Frieden sorgten – wie es Dravot und Carnehan in Kafiristan taten.
Für viele im Westen machte diese Zivilisationsmission den Imperialismus zu einer moralischen Aufgabe. Kipling drängte die Vereinigten Staaten 1899:
Ergreift die Bürde des Weißen Mannes –
Schickt die Besten aus, die ihr erzieht –
Bannt eure Söhne ins Exil
Den Bedürfnissen eurer Gefangenen zu dienen; …
Ergreift die Bürde des Weißen Mannes –
Geduldig auszuharren
Um Schreckensdrohung zu verhüllen
Und anmaßenden Stolz zu zügeln;
Durch offenes und schlichtes Reden,
Hundertmal klar dargelegt,
Eines anderen Vorteil zu suchen
Und eines anderen Gewinn zu bewirken. 71
Nur wenige Tage nach der Erstveröffentlichung dieses Gedichts erschienen bereits die ersten Parodien (so schrieb ein Satiriker: »Häuft an die Bürde des braunen Mannes, um Eure Gier zu stillen; Geht, beseitigt die ›Nigger‹, die den Fortschritt behindern« 72 ). Heute fällt es schwer, Kiplings Zeilen zu lesen, ohne zusammenzuzucken. Aber er stand mit seiner Weltsicht keineswegs allein. Tausende offizieller Berichte in staubigen oder modrigen Bezirksbüros von Mauretanien bis Malaya zeugen von der Ernsthaftigkeit, mit der Funktionäre aller Ebenen sich bemühten, die Schreckensdrohung zu verhüllen und anmaßenden Stolz zu zügeln. »Diese kleinen Fürstentümer genießen umfassenden britischen Schutz und befinden sich in einem Zustand tiefster Ruhe«, schrieb ein gewisser Lieutenant Murray 1824 in einem Bericht über zehn Jahre Befriedungspolitik in Nepal. »Mord kommt selten vor, Raub ist unbekannt, mehrere Rajas sind zufrieden, und ihre Untertanen erhalten alle Segnungen einer milden, unbeschwerten Herrschaft. Die Landwirtschaft hat sich um ein Vierfaches verbessert, und die Berge sind bis an den Grund mit Grünterrassen bedeckt.« 73
Aber wusste Murray – oder auch Kipling –, wovon er redete? Oder logen sie einfach, um ein Empire zu rechtfertigen, von dem sie auf Kosten der Untertanen profitierten? Allein die Vielfalt der Gebiete im Weltsystem des 19. Jahrhunderts macht es schwierig, darauf nur eine Antwort zu geben. In Australien, wo Europäer die Ureinwohner nahezu vollständig auslöschten, oder auf der Pazifikinsel Ascension, auf der bis zum Eintreffen der Briten keinerlei Wirbeltiere lebten, bedeutete Befriedung etwas völlig anderes als beispielsweise in Indochina, wo ein paar Tausend Franzosen inmitten von dreißig Millionen Einheimischen landeten.
Selbst innerhalb einer Region war manchmal schwer zu sagen, was dort vorging. Indien ist, wie üblich, der bekannteste (und umstrittenste) Fall. Hier stürzte sich die Britische Ostindienkompanie, die auf Gewinnmaximierung fokussiert war, in die Befriedung. Der Zusammenbruch des Mogulreichs, der der Ostindienkompanie in den 1750er Jahren einen Zugang nach Indien eröffnet hatte, hinterließ einen Subkontinent voller kriegführender Fürsten. Und auch wenn verlässliche Statistiken leider einmal mehr fehlen, legen alle Beobachtungen den Schluss nahe, dass ihre Unterwerfung unter einen einzigen Leviathan wahrscheinlich die gewaltbedingte Sterberate reduziert hat.
Das war jedoch erst der Anfang. Die streitenden Nawabs und Sultane hatten Tausende irregulärer Kavalleristen gedungen, um sich gegenseitig zu bekämpfen, und als die arbeitslos wurden, terrorisierten viele von ihnen alsBanditen die Bauern. Die Straßen Indiens im 18. Jahrhundert waren verseucht von Straßenräubern (darunter angeblich auch Thugees, Angehörige einer Bruderschaft, die zu Ehren der Göttin Kali Reisende ermordete), und das Land war überschwemmt mit Waffen.
Wie jeder sachkundige stationäre Bandit ging die Ostindienkompanie hart gegen diese umherziehenden Räuberbanden vor. Aber – wie bei allzu vielen stationären Banditen – waren ihre Maßnahmen so gewaltsam (und einträglich), dass Beobachter sich häufig fragten, ob das Gegenmittel nicht schlimmer war als das eigentliche Übel. Berge von »Rupien, Säcke voller Diamanten, Inder, zu Tode gefoltert, um das Versteck ihres Vermögens in Erfahrung zu bringen, geplünderte und verwüstete Städte und Dörfer, gestohlene Ländereien und Provinzen, entthronte und ermordete Nabobs fanden das Wohlgefallen und wurden zur Religion der Direktoren und ihrer Diener«, beklagte ein Londoner Pamphlet. 74
Bereits 1773 versuchte die britische Regierung, die Ostindienkompanie durch Vorschriften zu einem besseren stationären Banditen zu machen. Das Parlament legte
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