Krieg – Wozu er gut ist
dem schmutzigen Krimkrieg daran gehindert werden, das Machtgleichgewicht zu stören, und an der amerikanischen Front drohte ständig Krieg. Streitigkeiten über den Grenzverlauf zwischen den USA und Kanada eskalierten 1844 so weit, dass die Forderung, die Grenze westlich der Rocky Mountains bei 54°40’ nördlicher Breite zu ziehen, zum Slogan im Präsidentschaftswahlkampf wurde: »Fifty-four forty or fight!« 68 Als sich 1859 ein britisches Schwein in ein amerikanisches Kartoffelfeld verirrte, wurden Soldaten und Kriegsschiffe ins Grenzgebiet geschickt. Und als die Vereinigten Staaten 1861 untereinander gespalten waren, drohte ein Krieg auszubrechen, nachdem Seeleute der Union ein britisches Schiff geentert hatten.
Aber es kam nie zum Krieg. Bei dem Bemühen, eine Krise beizulegen, dieses Mal ausgebrochen, weil britische Seeleute amerikanische Schiffe geentert hatten, mahnte der amerikanische Präsident James Buchanan 1858 den Kongress: »Nie gab es auf der Erde zwei Länder, die sich so viel Gutes tun oder so viel Schaden zufügen konnten.« 69 Der Kongress war ganz seiner Meinung. Und die meisten Staaten in Asien und Europa kamen nach angemessener Abwägung der örtlichen Gegebenheiten zu ähnlichen Schlüssen. Nahezu alle konnten mehr gewinnen, wenn sie sich in das britische System einkauften, als wenn sie es zu brechen versuchten.
Pax Britannica
»Ich glaube, dass es jede Menge Grund gibt, stolz auf das zu sein, was das British Empire vollbracht hat«, erklärte Großbritanniens Premierminister David Cameron im Jahr 2013, »aber natürlich gab es neben den guten auch schlimme Ereignisse.« Er sprach in Amritsar, wo nahezu ein Jahrhundert zuvor britische Truppen auf Tausende unbewaffneter indischer Demonstranten geschossen und 379 von ihnen getötet hatten. Camerons Worte wurden auf der Stelle von allen Seiten angegriffen: Für die einen schmeckten sie nach händeringendem liberalem Selbsthass, für die anderen waren sie Beweis für einen erschreckenden Mangel an Sensibilität und nostalgische, proimperialistische Gefühle.
Premierminister rechnen damit, für alles, was sie sagen, angeprangert zu werden, aber es gibt sicher keine Möglichkeit, das Erbe von Europas Fünfhundertjährigem Krieg zu bewerten, ohne der politischen Voreingenommenheit geziehen zu werden. Dies im Hinterkopf, werde ich mich auf das Schlimmste gefasst machen und direkt zum Punkt kommen: Der Fünfhundertjährige Krieg war – in dem Sinne, in dem ich die Begriffe verwende – der produktivste Krieg, den die Welt bis dahin erlebt hatte, und schuf die größte, sicherste und wohlhabendste Gesellschaft (oder Weltordnung). Im Jahr 1415 war der Globus fragmentiert, und jeder Kontinent oder Subkontinent wurde von einer Gruppe von Regionalmächten dominiert oder war zwischen ihnen umkämpft. Dieses alte Mosaik war 1914 verschwunden, ersetzt durch nur noch drei oder vier Akteure von wirklich globaler Reichweite (Frankreich, Deutschland, die Vereinigten Staaten und natürlich das Vereinigte Königreich), die eng in ein von Großbritannien dominiertes System eingebunden waren. Europa hatte die Welt (beinahe) erobert.
Die Vereinigung der unsichtbaren Hand mit der unsichtbaren Faust unterschied diese Weltordnung erheblich von jedem vormodernen Reich, aber der Fünfhundertjährige Krieg, der es hervorgebracht hatte, folgte einem mehr oder minder bekannten Muster. Zuerst gab es eine Eroberungsphase, die die Rate der gewaltsamen Tode in die Höhe trieb; als Nächstes folgte in vielen Fällen eine Zeit der Rebellion mit weiterem Blutvergießen; und schließlich stellte sich eine Ära des Friedens und Wohlstands ein, in dem die Gewalt abnahm und die Wirtschaft in großem Maßstab wieder aufgebaut wurde.
Das Timing dieser Phasen hing vom geografischen Standort ab. Die Eroberungswelle brach im 16. Jahrhundert über Süd- und Mittelamerika herein, vom 17. bis 19. Jahrhundert über Nordamerika, im 18. und 19. Jahrhundert über Indien, Mitte des 19. Jahrhunderts über China und im ausgehenden 19. Jahrhundert über Afrika. In der Regel folgten unmittelbar auf das Ende der Eroberungen die großen Aufstände.
Die Auswirkungen waren ebenso unterschiedlich wie das Timing. In weiten Teilen Amerikas verübten die Invasoren unsägliche Gräuel an den Ureinwohnern (die es ihnen mit gleicher Münze heimzahlten, wie man erwähnen muss), aber todbringend waren vor allem die Krankheiten, wie wir weiter vorne gesehen haben. Wenn wir die Opfer von Seuchen und Hunger zu
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