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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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jeder andere Hund (außer Fuzzy) nur hinter ihm her ist. Bei ihm ist grundsätzlich erst einmal Knurren, Vorpreschen und Leinezerren angesagt, und wenn er Gelegenheit hat, wird er erst beißen, bevor er mit dem Gelecke anfängt.
    Und doch, so haben Mathematiker festgestellt, verbergen sich hinter der schier endlosen Vielfalt an tierischen Persönlichkeitsstrukturen und möglichen Formen des Aufeinandertreffens bestimmte Muster. Jeder Kampf hat Folgen für den genetischen Erfolg der Beteiligten. Diese können direkter Natur sein, wenn beispielsweise der Sieger seine Gene durch Fortpflanzung vererbt oder die des Verlierers aus dem Genpool verschwinden, weil dieser verletzt wird oder stirbt. Meist aber sind sie indirekt. Der Sieger bekommt vielleicht mehr zu fressen und legt einen Energievorrat an, von dem er bei einer späteren Fortpflanzung profitieren kann, oder er gewinnt an Prestige, wird für potentielle Partnerinnen attraktiver, für Rivalen furchteinflößender. Ein Verlierer hungert womöglich oder verliert das Gesicht. Wenige Tiere (uns Menschen eingeschlossen) kalkulieren so nüchtern, wenn eine Konfrontation ihren Lauf nimmt, vielmehr werden wir von Hormonen gesteuert, die in der Evolution genau aus dem Grund entstanden sind: um uns zu helfen, rasche Entscheidungen zu fällen. Unser Gehirn wird von chemischen Verbindungen geflutet. Wir geraten in Panik und laufen davon, wedeln mit dem Schwanz und kommen näher, oder sehen rot – es »tobt das tolle Blut«, so nannte es Shakespeare – und rasten im Zorn aus. 2 DieEntscheidungen aber, die ein Tier trifft, beeinflussen seine Chancen, seine Gene an die nächste Generation weiterzugeben, und mit der unerbittlichen Logik der natürlichen Selektion werden Verhaltensweisen, die die Weitergabe begünstigen, ganz allmählich solche verdrängen, die das nicht tun.
    Wir können uns diese Konfrontationen, erklären uns die Mathematiker, wie Spiele vorstellen und für die verschiedenen Spielzüge, die einem Tier offenstehen, in einer Art Ligatabelle des genetischen Erfolgs Punkte vergeben. Die Spieltheorie (so nennen die Wissenschaftler diese Übung) vereinfacht die Realität in unbotmäßiger Weise, aber sie hilft uns zu erkennen, wie jede Art (der Mensch eingeschlossen) im Laufe der Evolution das ihr eigene Gleichgewicht zwischen Angriffs- und Fluchtverhalten entwickelt hat.
    Ich will hierzu ein Beispiel des Evolutionsbiologen Richard Dawkins bemühen. Angenommen, so rechnet er in seinem erfolgreichen Buch Das egoistische Gen vor, ein Tier, das eine Konfrontation gewinnt, erhält im Rennen um den genetischen Erfolg fünfzig Pluspunkte, während ein Verlierer leer ausgeht (null Punkte). Verletzt zu werden kostet den Spieler hundert Punkte, und ein sich hinziehendes Hin- und Hergerangel, das Zeit und Kraft kostet, die sich gewinnbringender durch Fressen oder Paarung mit einem anderen Artgenossen nutzen ließe, bringt dem Tier zehn Minuspunkte ein.
    Falls die zwei Tiere, die einander gegenüberstehen, Tauben sind (keine echten – wir haben es hier mit Mathematik zu tun, und »Taube« steht in diesem Zusammenhang für ein Tier, das grundsätzlich nicht kämpft), werden sie sich nicht auf einen Kampf einlassen. Aber beide wollen den Partner, das Futter oder den Rang, um den es geht, also wird es zu heftigem Imponiergehabe kommen, mit allem, was dazugehört: reichlich drohendem Aufplustern und regungslosem Anstarren. Das geht so lange, bis ein Vogel die Geduld verliert und davonfliegt. Der Gewinner bekommt dann fünfzig Punkte, verliert aber zehn für die vergeudete Zeit, macht einen Nettogewinn von vierzig Punkten. Die Taube, die nachgegeben hat, geht mit minus zehn Punkten aus dem Rennen (kein Gewinn, zehn Minuspunkte für die vertane Zeit). Das Durchschnittsergebnis aus solchen im Laufe der Jahrtausende viele Millionen Mal erfolgten Konfrontationen liegt bei 15 Pluspunkten (die vierzig Pluspunkte des Siegers abzüglich der zehn Minuspunkte des Unterlegenen dividiert durch zwei).
    Was aber, wenn eine der Tauben ein Falke ist? (Auch das ist ein mathematischer Falke, dieses Mal ein Tier, das grundsätzlich einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten wird.) Ein Falke hält sich nicht damit auf, seinGegenüber anzustarren und sich aufzuplustern. Er greift an, und die Taube flieht. Wenn bei den Konfrontationen, denen sich der Falke in seinem Leben ausgesetzt sieht, grundsätzlich Tauben sein Gegenüber sind, dann kassiert der Falke grundsätzlich fünfzig Punkte (ohne

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