Krieg – Wozu er gut ist
Minuspunkte, weil er keine Zeit vergeudet hat) – weit mehr also als die mageren 15, die eine Taube mit ihrer Strategie erzielt. Die Folge: In der von Tauben dominierten Population werden sich Falkengene verbreiten.
Jetzt aber greift das evolutionäre Paradoxon. Mit zunehmender Zahl an Falken wird es zunehmend wahrscheinlich, dass ein Falke sich statt einer Taube einem anderen Falken gegenübersieht, das heißt, beide werden angreifen. Einer der beiden wird gewinnen (fünfzig Pluspunkte – aus Gründen der Vereinfachung will ich annehmen, er bleibt dabei unverletzt), der andere verliert und wird verletzt (hundert Minuspunkte). Das ergibt einen Durchschnitt (fünfzig minus hundert dividiert durch zwei) von minus 25 Punkten.
In dieser Situation stehen die noch verbliebenen Tauben plötzlich ganz ordentlich da. Weil sie grundsätzlich fliehen, erzielen sie gleichbleibend null Punkte, was sehr viel besser ist als die minus 25, auf die es die Falken bringen. Die Taubengene werden sich aufs Neue über die Population verbreiten. Das Punktesystem, das Dawkins in diesem Spiel konstruiert hat, führt dazu, dass der Genpool auf lange Sicht einem stabilen Zustand oder Gleichgewicht zustrebt, bei dem fünf von zwölf Tieren sich wie Tauben verhalten und sieben von zwölf wie Falken. Diese Konstellation entspricht dem, was Biologen als ESS (evolutionär stabile Strategie) bezeichnen.
Zufallsmutationen, Glück und alle möglichen Arten von anderen Kräften bringen dieses Verhältnis unablässig aus dem Gleichgewicht, aber das Spiel des Todes sorgt dafür, dass es dorthin zurückstrebt. Jede Art, unsere eigene eingeschlossen, hat ihre Ausreißer – ihre Fuzzys und Milos –, aber die meisten ihrer Angehörigen bewegen sich irgendwo in der Mitte, vom Spiel des Todes unablässig der evolutionär stabilen Strategie und der für diese jeweils typischen Form und Verteilung von Gewalt entgegen getrieben.
Dieses abstrakte Spiel des Todes legt die Prinzipien offen, die gewalttätigem Verhalten bei Tieren aller Art zugrundeliegt. Es lässt vermuten, dass unsere eigene Gewaltbereitschaft genau wie die anderer Geschöpfe eine im Laufe der Evolution entstandene Anpassung sein muss, mit Modifikationen ererbt von den Verhaltensweisen unserer Vorfahren über Millionen von Jahren. Zugleich zeigt uns die Spieltheorie aber auch die Besonderheiten menschlicher Formen von Gewalt. Wir bringen Feinde meist um, statt sielediglich zu verjagen. Da Sieger, die ihren Gegner auf den Tod bekämpfen, ein größeres Risiko eingehen als Sieger, die auch Unterwerfung akzeptieren, sollten Killer im Spiel des Todes durchschnittlich geringere Prämien einstreichen als Nichtkiller. Wer kämpft und davonläuft, überlebt und kann sich am nächsten Tag einem neuen Kampf stellen, ebenso der, der Signale der Unterwerfung akzeptiert und den Verlierer ziehen lässt.
Warum also, müssen wir fragen, haben die Kasakelaner Godi gestellt und zu Tode geprügelt, als dieser sein Baumversteck verließ und um sein Leben rannte? Warum haben sie dann auch noch alle übrigen Kahama-Männer umgebracht? Warum gehört bei Schimpansen tödliche Gewalt zum ESS-Repertoire? Und warum bei uns?
Gemeinsam sind wir stark
Teilweise liegt die Antwort auf der Hand. Der Angriff, bei dem Godi getötet wurde, unterschied sich in einer Hinsicht ganz entscheidend von den abstrakten Experimenten der Spieltheorie: Es handelte sich um einen Angriff acht gegen einen. Der Kahama-Schimpanse hatte nicht die geringste Chance, und seine Angreifer eilten im Knöchelgang davon, ohne auch nur einen Kratzer abbekommen zu haben. Einer der Männer aus der Kasakela-Gruppe war so alt, dass seine Zähne bis auf winzige Stummel abgewetzt waren, aber sogar er beteiligte sich fröhlich an dem Blutbad.
Überfälle nach dem Muster acht gegen einen sind eine besondere Form der Gewalt, die nur Tieren möglich ist, die kooperieren und sich zu Banden zusammenschließen können. Es hat eine ordentliche Dosis Evolution gebraucht, diese Mischung aus Kooperation und Wettbewerb hervorzubringen. Vor dreieinhalb Milliarden Jahren lief die Evolution bei ein paar Tröpfchen so gut, dass diese zu Zellen werden konnten, die effizienter in der Lage waren, um Energie zu konkurrieren, als primitive Tröpfchen. Vor anderthalb Milliarden Jahren arbeiteten ein paar Zellen so gut zusammen, dass sie sich sexuell fortpflanzen konnten und damit mehr Nachwuchs und eine größere Vielfalt an Mutationen hervorbrachten als asexuelle Organismen.
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