Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
Vom Netzwerk:
männlichen Gruppenmitglieder kommen rascher voran als die weiblichen (insbesondere solche, die noch ein Junges mit sich tragen), daher machen sich die Männchen oft zusammen auf. Schimpansenweibchen hingegen tendieren dazu, allein auf Futtersuche zu gehen, denn sie kommen zu langsam voran, als dass sie in einem Areal noch Futter finden würden, das ihre übrigen Gruppenmitglieder bereits durchstreift haben. All das ist ein himmelweiter Unterschied zu den pausenlos vespernden Bonobos. Wenn sie auf Futtersuche gehen, sind die Gruppen nicht nur groß und stabil, sondern setzen sich auch aus einer etwa gleichen Anzahl männlicher und weiblicher Tier zusammen.
    An diesem Punkt zeigt der Mangel an Pausensnacks im Schimpansenland seine hässliche Seite. Banden aus fünf, sechs Männchen stoßen immer wieder auf allein umherziehende Weibchen. Die Männchen vergewaltigen die Weibchen nicht immer, aber doch mit erschreckender Regelmäßigkeit. Unter diesen Umständen haben Weibchen keine echte Chance, sich gegen Angreifer zu wehren. Wenn es zum Kampf kommt, dann in der Regel unter den Männchen, die darüber streiten, wer das Weibchen bekommt.
    Im Lauf der letzten gut eine Million Jahre ihrer Evolution haben männliche Schimpansen aufgrund ihrer mangelnden Fähigkeit, mit kleinen Zwischenmahlzeiten auszukommen, zwei sehr spezielle Merkmale entwickelt: Angriffslust und riesige Hoden. Weil Vergewaltigung immer eine Alternative ist, geben Männchen, die bereitwillig kämpfen, ihre Gene mit größerer Wahrscheinlichkeit an die nächste Generation weiter als solche, die das nicht tun. Und da Weibchen an einem Tag oftmals mit mehreren Männchen hintereinander Sex haben, genießen Männchen mit großen Hoden (aus denen sie größtmögliche Ladungen an Spermien feuern können, die ihre Chance erhöhen, der Glückspilz zu sein, der das Ei befruchtet) einendeutlichen Fortpflanzungsvorteil gegenüber solchen, die weniger üppig ausgestattet sind.
    So wichtig ist diese Laune der Affenevolution, dass Biologen ein ganzes Extragebiet dafür aufgemacht haben: die Theorie der Spermienkonkurrenz. Die Hoden eines Schimpansen wiegen beeindruckende 125 Gramm. Nur zum Vergleich: Gorillas müssen, obwohl sie viermal so groß sind, mit einer Hodengröße von ungefähr dreißig Gramm vorlieb nehmen. Der Grund ist, dass ein Alpha-Gorilla einen ganzen Harem an Weibchen um sich geschart hält und die Konkurrenz fremder Spermien nicht fürchten muss.
    Auch Bonobos verfügen über riesige Testikel, weil die Männchen genau wie männliche Schimpansen ebenfalls unablässig miteinander darum konkurrieren, Weibchen zu schwängern, die unablässig ihre Geschlechtspartner wechseln. Im Unterschied zu Schimpansen läuft der Spermienwettstreit bei ihnen jedoch so gut wie komplett gewaltfrei ab. Männchen sind nur selten in der Überzahl, und wenn ein Männchen seine Auserkorene zu aggressiv bedrängt, tun sich in aller Regel mehrere Weibchen gegen ihn zusammen und verscheuchen ihn mit Drohgebärden und Gekreisch. (Auch Schimpansenweibchen kooperieren manchmal gegen einen Vergewaltiger, aber sie sind nicht annähernd so erfolgreich.) Bonobomännchen gewinnen den Spermienwettstreit nicht dadurch, dass sie einander bekämpfen, sondern dadurch, dass sie sich den Weibchen in möglichst gutem Licht präsentieren. Eine der besten Methoden besteht in diesem Zusammenhang offenbar darin, ein guter Sohn zu sein: Bonobomütter bauen auf ihre Freundschaft zu anderen Weibchen, um sicherzustellen, dass ihre Söhne Freundinnen finden. Im Land der Bonobos gehen Muttersöhnchen als Erste durchs Ziel.
    Im Verlauf von ungefähr einer Million Jahren hat sich bei den Bonobos der Lohn für Friedfertigkeit vervielfacht. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie besitzen den Regenwald, und die Evolution ließ Bonobos beiderlei Geschlechts kleiner, zierlicher und einfach netter werden als Schimpansen. »In all meinen Berufsjahren«, so Robert Yerkes, der Gründervater der Primatologie, über Prince Chim, den ersten Bonobo in Gefangenschaft, »habe ich nie ein Tier gesehen, das Prince Chim hinsichtlich seiner physischen Vollkommenheit, Aufgewecktheit, Anpassungsfähigkeit und liebenswürdigen Veranlagung gleichgekommen wäre«. 5 Ob Prince Chim für Yerkes, der ihn in Cambridge, Massachusetts, eingesperrt hielt und ihm beibrachte, mit einer Gabel an einem kleinen Tisch sitzend zu essen, dasselbe empfunden hat, werden wir nie wissen.
Der nackte Affe
    Die evolutionären Wege, die Chim und Yerkes

Weitere Kostenlose Bücher