Krieg – Wozu er gut ist
Sima Qian im alten China, hatten den Krieg zu ihrem zentralen Thema gemacht; und nach dem Programm des History Channel oder den Buchständern der Flughäfen nach zu urteilen, möchte man fast meinen, Historiker hätten seither nichts anderes im Sinn. Tatsache ist jedoch, dass professionelle Historiker und Archäologen – aus Gründen, auf die ich in Kapitel 1 eingehen werde – in den vergangenen fünfzig Jahren dem Krieg konsequent den Rücken zugewandt haben.
Während meiner ersten zwanzig Jahre als Archäologe (ich habe 1986 promoviert) folgte ich größtenteils der Tradition meiner Branche. Erst während der Arbeit an meinem Buch Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden bekam ich endlich ein Gespür dafür, wozu der Krieg tatsächlich gut gewesen war. Meine Frau, die normalerweise lieber zu zeitgenössischer Fiction als zu Geschichtsbüchern greift, hatte jedes meiner Kapitel bereits im Entwurf gelesen, aber als ich ihr schließlich einen besonders großen Packen gab, gestand sie: »Na ja … gefallen hat’s mir schon …, aber so viel Krieg!« Bis zu dem Augenblick war mir gar nicht aufgefallen, dass sich mein Buch in dem Maß um den Krieg drehte. Ich hatte eigentlich gedacht, mich diesbezüglich eher zurückgehalten zu haben. Aber nachdem Kathy mich darauf hingewiesen hatte, sah ich, dass sie recht hatte. Es ging immer wieder um Krieg.
Ich begann mir ernsthaft Gedanken darüber zu machen: Sollte ich die Kriege herausnehmen? Sollte ich lang und breit erklären, warum man die ganze Geschichte über ständig Krieg geführt hat? Oder hatte ich das Ganze einfach falsch angefasst? Schließlich wurde mir klar, dass es so sein musste; so und nicht anders, da Krieg nun mal von zentraler Bedeutung für die Geschichte ist. Und als ich das Buch fertig hatte, war ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Kriege für unsere Zukunft von nicht weniger zentraler Bedeutung sein werden als für unsere Vergangenheit. Weit davon entfernt, zu viel über den Krieg zu schreiben, hatte ich kaum an der Oberfläche gekratzt.
Und in dem Augenblick wurde mir klar, dass es in meinem nächsten Buch um den Krieg gehen musste.
Fast auf der Stelle bekam ich kalte Füße. »Oh! eine Feuermuse« 15 , wünschte Shakespeare sich, als es darum ging, über den Krieg zu schreiben, und ich verstand bald, was er meinte. Wenn selbst er daran verzweifelte, »solch großen Vorwurf« auf sein unwürdiges Gerüst zu bringen, was konnte ich mir dann erhoffen?
Mit das Problem dabei ist die schiere Menge von Gedanken und Schrifttum über den Krieg. Millionen von Büchern, Essays, Gedichten, Stücken und Songs wurden über den Krieg geschrieben. Laut Keeley gab es Mitte der 1990er Jahre bereits weit über 50 000 Bücher allein über den Amerikanischen Bürgerkrieg. Unmöglich für einen Einzelnen, dieser Flut Herr zu werden.
Ich persönlich jedoch habe den Eindruck, dass sich dieser gewaltige Strom von Worten letztlich in nur vier unterschiedliche Denkweisen den Krieg betreffend einteilen lässt. Die erste und in den letzten Jahren verbreitetste ist der persönliche Ansatz, wie ich es nennen würde. Er beschwörtdie individuelle Erfahrung des Kriegs – wie es ist, in der Gefechtslinie zu stehen, Vergewaltigung und Folter durchzumachen, um gefallene Kameraden zu trauern, mit seinen Wunden zu leben oder sich einfach nur als Opfer all der kleinen Entbehrungen des Lebens hinter den Linien zu sehen. Die besten Beispiele dieser Sparte, ob in Form von Artikeln, Lyrik, Songs, Tagebüchern, Romanen, Filmen oder Anekdoten, kommen unmittelbar aus dem Bauch.
Der persönliche Ansatz versucht uns zu vermitteln, wie sich der Krieg anfühlt, und in dieser Hinsicht habe ich, wie bereits erwähnt, den Stimmen derer, die die Gewalt tatsächlich erfahren haben, nichts hinzuzufügen. Der persönliche Ansatz vermittelt uns aber auch nicht alles, was wir womöglich über den Krieg wissen wollen, und vermag letztlich nur einen Teil der Frage zu beantworten, wozu ein Krieg gut sein soll. Es geht beim Krieg um mehr als um die bloße Erfahrung, ihn durchgestanden zu haben, und diese Lücke füllt der zweite breite Ansatz, die Militärgeschichte, wie ich das einmal grob nennen will.
Die Grenzen zwischen persönlichem Bericht und Militärgeschichte müssen nicht scharf gezogen sein. Wenigstens seit 1976, als John Keegans bahnbrechendes Buch Das Antlitz des Krieges erschien, ist eines der großen Themen der Militärgeschichte die individuelle
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