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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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    Jedes Zugeständnis, so argumentierte Gorbatschow, sei besser als der Einsatz von Gewalt, der den Zusammenbruch des gesamten Sowjetsystems hätte heraufbeschwören können. Nicht alle waren dieser Meinung, und im Dezember 1989 ließ der rumänische Diktator Nikolae Ceaus¸escu die Securitate auf Demonstranten schießen. Das Land erhob sich gegen ihn, dieSowjets unternahmen nichts, und am ersten Weihnachtstag wurden er und seine Frau von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen.
    Die nicht minder orientierungslosen ostdeutschen Kommunisten hatten sich kurz zuvor für einen anderen Weg entschieden und die Berliner Grenzübergänge geöffnet. Ostdeutsche eilten in den Westen, Westdeutsche spazierten in den Osten, die Menschen tanzten auf der Mauer und schlugen mit Hämmern Stücke heraus – und nichts geschah. Wie man auf Deutsche hätte schießen sollen, die über die Grenze gehen, um andere Deutsche zu treffen, fragte Gorbatschow am nächsten Tag und forderte eine neue Politik. 21
    Die Ereignisse in Rumänien ließen vermuten, dass Gorbatschow richtig lag, im Sommer 1989 hatten die Sowjets vermutlich kein Ass mehr im Ärmel. Weniger als drei Monate nach dem Fall der Berliner Mauer erklärte der ostdeutsche Regierungschef sich zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten bereit. Das könne nur geschehen, antwortete Gorbatschow, wenn das wiedervereinigte Deutschland entmilitarisiert und neutral sei. Den Amerikanern wurde ein entsprechender Vorschlag unterbreitet, aber Bush lehnte es ab, die Viertel Million Amerikaner aus Westdeutschland abzuziehen. Gorbatschow zog seine 300   000 Mann aus Ostdeutschland trotzdem ab, und das neue wiedervereinigte Deutschland trat der NATO bei.
    Rückblickend betrachtet verwundert es nicht sonderlich, dass, nachdem die Deutschen, Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Rumänen und Bulgaren aus dem sowjetischen Reich abgewandert waren, auch die Esten, Litauer, Letten, Weißrussen, Ukrainer, Armenier, Georgier, Aserbaidschaner, Kasachen, Usbeken, Turkmenen, Kirgisen, Tadschiken und Mongolen nicht lange auf sich warten ließen. Immer noch bemerkenswert ist allerdings der Umstand, dass die Russen selbst beschlossen, nichts mehr mit ihrem vormaligen Imperium zu tun haben zu wollen, und ebenfalls ihren Rückzug aus dem Sowjetsystem ankündigten. Weihnachten 1991 verabschiedete der Oberste Sowjet ein Dekret, das die Sowjetunion auflöste.
    Indem er das Spiel ohne Gewalt gespielt hatte, ging Gorbatschow mit einer lausigen Prämie aus dem Spiel, doch der Lohn für die einzige naheliegende Alternative – die Osteuropäer mit Gewalt niederzuhalten und sich allen amerikanischen Versuchen, das eigene Imperium zurückzudrängen, zu widersetzen – hätte weit, weit darunter gelegen. Russland war geschlagen, wurde kurzerhand aus dem inneren Rand gedrängt und sogar eines Großteils seines Kernlands beraubt, aber immerhin geschah all das, fast ohne dass ein Schuss fiel. Im Jahre 1983 hatten in Petrows Augenblick derWahrheit 300 Millionen Leben auf dem Spiel gestanden, aber als das Ende des Kalten Krieges schließlich kam, hatten weniger als 300 Menschen ihr Leben lassen müssen. Die Vereinigten Staaten hatten den größten und vielleicht am wenigsten erwarteten Triumph in der Geschichte des produktiven Krieges errungen (Abbildung 6.6), und die Welt hatte einen neuen Polizisten.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 6.6: Jede Menge Grund zur Freude
    Michail Gorbatschow und Ronald Reagan ziehen den Schlussstrich unter den Kalten Krieg, und eine Milliarde Menschen bleiben am Leben und können den nächsten Tag in Angriff nehmen.

Kapitel 7
Die letzte große Hoffnung für die Welt
    Das Amerikanische Reich, 1989 bis …?
Kein Weg von hier nach da
    Montag, der 26. November 2012, kann als modernes Wunder gelten. Einen ganzen Tag lang (um genau zu sein: von 23:30 Uhr am Sonntagabend bis 10:20 Uhr am Dienstagmorgen) wurde in ganz New York City kein einziger Mensch erschossen, erstochen oder anderweitig mit Vorsatz ums Leben gebracht. Einen solchen Tag hatte es noch nie gegeben, seit man im Jahre 1994 mit dem umfassenden Zusammentragen von Sozialdaten begonnen hatte. Damals geschah in Big Apple im Durchschnitt ein Mord pro Tag. Tatsächlich müssen wir mehr als fünfzig Jahre zurückgehen – in eine Zeit, aus der es nur lückenhafte Aufzeichnungen gibt und die Stadt eine halbe Million Menschen weniger zählte –, um auf einen weiteren Tag ohne gewaltsamen Todesfall zu stoßen. Alles in allem starb

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