Krieg – Wozu er gut ist
Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten hervorgebracht (ursprünglich denen zwischen Urhaien, die andere Fische fressen, und anderen Fischen, die nicht gefressen werden wollten). Die Anpassung war ein Riesenerfolg, und so gut wie alle Tiere bedienen sich heute ihrer. Manche sind sogar im Laufe ihrer Evolution dahin gelangt, Gewalt im Kollektiv anzuwenden, und wenn es um Territorialität geht, kann kollektive Gewalt rasch tödlich werden. Der Krieg hatte die Weltbühne betreten.
Die Geschichte des Menschen ist einer der kürzesten Äste am Baum der Evolution, aber sie ist der bei weitem ungewöhnlichste. Nur wir allein sind in der Lage, neben unserer genetischen Evolution eine kulturelle zu durchlaufen und auf Veränderungen im Spiel des Todes zu reagieren, indem wir unser Verhalten ändern, statt Tausende Generationen warten zu müssen, bis uns die natürliche Selektion verändert. Aus diesem Grund haben wir seit dem Ende der letzten Eiszeit Möglichkeiten gefunden, Gewalt so einzusetzen, dass sie – paradoxerweise – den Lohn für den weiteren Einsatz von Gewalt senkt.
Als sich die Welt vor 10 000 Jahren erwärmte, reagierten Pflanzen und Tiere aller Art darauf, indem sie sich ungehemmt vermehrten. Für die meisten Arten kehrten die harten Zeiten zurück, als den hungrigen Mäulern der Futternachschub ausging, aber in den Glücklichen Breiten lösten die Menschen das Problem, indem sie eine kulturelle Entwicklung zum Bauerndasein durchliefen. Der Ackerbau hatte seinen Preis, aber er ernährte auch sehr viel mehr Menschen, und die wachsende Schar rückte im Sozialkäfig eng zusammen. Für die Eiszeitmenschen bedeutete Territorialität, dass die höchste Prämie im Spiel des Todes durch das Auslöschen konkurrierender Gruppen zu erzielen war, die Enge des Käfigs aber sorgte dafür, dass die Eingliederung besiegter Feinde in größere Gesellschaften sich noch ein bisschen mehr auszahlte. Eingliederung ist eine ziemlich euphemistische Bezeichnung für einen Vorgang, der so viel Grausamkeiten – Plünderung, Vergewaltigung,Versklavung, Verschleppung – einschloss, aber weil der Wettbewerb Eroberer belohnte, die sich zu stationären Banditen wandelten, bestand auf lange Sicht das Ergebnis in Befriedung und steigendem Wohlstand.
Um 3500 v. Chr. waren aus den stationären Banditen echte Leviathane geworden, die Steuern erheben und widerborstige Untertanen bestrafen konnten. Das Ganze nahm seinen Ausgang im heutigen Nahen Osten, der Region, in der auch der Ackerbau seine Wurzeln hat, mithin der Ort, an dem Sozialkäfig und Konkurrenz am weitesten gediehen waren. Im Verlauf der nächsten paar tausend Jahre entwickelte sich jedoch der größte Teil der Glücklichen Breiten in dieselbe Richtung.
Jede Region in den Glücklichen Breiten der Alten Welt durchlief eine ganz ähnliche Abfolge von Revolutionen im Militärwesen (wenn sich diese Abfolge auch in der Neuen Welt aus Gründen, die wir in Kapitel 3 kennengelernt haben, und natürlich durch die fehlende Verfügbarkeit von Pferden etwas anders gestaltete). Als Erstes kamen – als Antwort auf die ständigen Raubzüge – Befestigungsanlagen. Die Angreifer reagierten damit, dass sie lernten, wie Mauern zu stürmen sind, die sie nicht erklettern konnten. Als Nächstes folgte in Eurasien die Bronze für Angriffswaffen und schützende Rüstungen. Disziplin spielte eine wichtige Rolle, galt es doch junge Männer dazu zu bringen, trotz aller Gefahren anzugreifen und sich gegen mordlustige Feinde zu behaupten. Um 1900 v. Chr. hatten Hirten der eurasischen Steppen gelernt, Pferde vor Streitwagen zu spannen, und brachten Schnelligkeit und Wendigkeit auf die Schlachtfelder. Um 1200 hatten Krieger im ganzen Mittelmeerraum Möglichkeiten gefunden zurückzuschlagen, und im 1. Jahrtausend ging die Tendenz zu riesigen eisenbewehrten Infanterien, mit denen die Reiche der Glücklichen Breiten Eurasiens erobert wurden.
Jede Revolution war ein Wettrennen zwischen Offensive und Verteidigung, aber, wie ich das ganze Buch über nicht müde geworden bin zu betonen: Krieg ist nicht das, was Evolutionsbiologen den Rote-Königin-Effekt nennen. Am Ende des Rennens steht eben nicht jeder am selben Ort wie zu Beginn, denn das Rennen verändert die Gesellschaften, die es laufen. Jede Revolution ließ die Leviathane stärker werden, und stärkere Leviathane senkten die gewaltbedingten Todesfälle immer weiter.
Auch vertragen sich die Tatsachen nicht übermäßig gut mit der Theorie
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