Krieg – Wozu er gut ist
einer spezifisch westlichen Art der Kriegführung, die von den Griechen der Antike erfunden worden sein und europäische Krieger über alle anderenKrieger der Welt erhoben haben soll. In Wirklichkeit verfielen überall in den Glücklichen Breiten Menschen auf eine produktive Art der Kriegführung, und diese hatte stärkere Leviathane, Sicherheit und Wohlstand zur Folge. Im 1. Jahrhundert v. Chr. brachte die Menschheit es so zu Zivilisationen wie Chang’an, Pataliputra, Teotihuacán und Rom.
Ein anderes Thema, das dieses Buch durchzieht, ist meine Überzeugung, dass alles am Krieg paradox ist. Am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. erreichten Eurasiens produktive Kriege ihren Kulminationspunkt, wie Clausewitz es ausgedrückt haben würde, von dem an Verhalten, das eben noch Erfolge gebracht hatte, anfing, katastrophale Ergebnisse zu zeitigen. Die Expansion der antiken Reiche führte zunehmend zu Kollisionen mit den Bewohnern der Steppen. Deren wendige Reiter konnten ungeheure Entfernungen überbrücken und nahezu beliebig in die alten Reiche einfallen, während die großen Infanterien, die diese Reiche sich zugelegt hatten, im trockenen Grasland ums Überleben kämpfen mussten.
Von China bis Europa begann mehr und mehr die Kavallerie die Schlachtfelder zu beherrschen, und über mehr als tausend Jahre – ungefähr von 200 bis 1400 n. Chr. – blieben die Glücklichen Breiten und die Steppen in einem furchtbaren Zyklus aus produktiven und kontraproduktiven Kriegen gefangen. Auf jeden produktiven Krieg, der eine größere, sicherere und wohlhabendere Gesellschaft entstehen ließ, folgte ein kontraproduktiver, der diese wieder zu Fall brachte. Leviathane verloren ihren Biss, der Tod durch Gewalt war wieder auf dem Vormarsch, und der Wohlstand bröckelte.
Eines schönen Tages in nicht allzu ferner Zukunft werden die Anthropologen genügend Skelette untersucht haben, um all das mit genauen Zahlen zu untermauern, bis dahin müssen wir uns mit den qualitativen Indizien begnügen, die ich in den Kapiteln 1 bis 3 aufgeführt hatte. Für die Frühgeschichte lassen sich Beobachtungen an steinzeitlichen Gemeinschaften des 20. Jahrhunderts mit den wenigen, aber sich stetig mehrenden Knochenfunden zusammenführen und vergleichen, aber was die antiken Reiche und die Zeit der Völkerwanderungen betrifft, sind wir großenteils auf die literarischen Zeugnisse dieser Zivilisationen selbst angewiesen. Ich habe in Kapitel 1 und 2 erläutert, dass diese Schriften es nahezu sicher erscheinen lassen, dass die antiken Reiche das Aufkommen an Gewalt hatten abnehmen lassen, und in Kapitel 3, dass die Gewalt nach 200 n. Chr. wieder deutlich zulegte, aber gegenwärtig haben wir keinerlei Möglichkeiten herauszufinden, wie groß Zu- und Abnahme genau waren.
Meine eigenen Schätzungen – denen zufolge in den antiken Reichen ein Risiko von zwei bis fünf Prozent bestand, einen gewaltsamen Tod zu erleiden, und dieses zu Zeiten der feudalen Anarchie auf fünf bis zehn Prozent anstieg – werden sich zweifellos als falsch erweisen, wenn mehr Beweise vorliegen, aber ich glaube, so funktioniert Wissenschaft nun mal. Ein Forscher äußert eine Hypothese, ein anderer kommt des Wegs, verwirft sie und setzt eine neue in die Welt. Aber wenn auch vielleicht zu nichts sonst, so wird, hoffe ich, dieses erste Stochern nach greifbaren Zahlen doch immerhin andere dazu veranlassen, mit besseren Daten und besseren Methoden zu zeigen, wo ich mich geirrt habe.
Erst Mitte des 2. Jahrtausends n. Chr. bewegt sich die Geschichte auf eine zahlentechnisch verlässlichere Basis zu, da – vor allem in Europa – die Steppenrouten mit Waffengewalt kontrolliert wurden, Schiffe, die große Distanzen überbrücken konnten, die Meere öffneten und Leviathane ein Comeback erlebten. Beide Erfindungen stammen aus Ostasien, wurden jedoch in Westeuropa perfektioniert und durchbrachen dort den Zyklus aus produktiven und kontraproduktiven Kriegen.
Der Grund dafür hat, wie ich in Kapitel 4 gemutmaßt habe, wieder einmal mehr mit der Geografie als mit einer speziell westlichen Art der Kriegführung zu tun. Einerseits belohnte Europas politische Geografie – ein buntes Durcheinander aus Unmengen winziger Königreiche und Fürstentümer, die sich unablässig miteinander im Krieg befanden – Gesellschaften, die die besseren Waffen bauten, und auf der anderen machte es Europas physikalische Geografie – die Tatsache, dass es Amerika doppelt so nahe war wie Ostasien –
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