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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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anzugehen, das nicht nur unseren eigenen Interessen, sondern auch denen unserer Verbündeten und Freunde zuwiderläuft, oder das die internationalen Beziehungen ernsthaft zu erschüttern vermag«. Das hieß vor allem eins:

    »Unser oberstes Ziel ist es, das Wiedererstehen eines neuen Rivalen auf dem Boden der vormaligen Sowjetunion oder andernorts zu verhindern, der eine Bedrohung in der Größenordnung darstellt, wie sie die Sowjetunion einst dargestellt hat. Das … macht es erforderlich, dass wir uns zum Ziel setzen, jede feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen unter gemeinsamer Kontrolle hinreichen würden, globale Macht zu erringen. Zu diesen Regionen gehören Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und Südwestafrika.« 2
    Das prompt an die Presse durchgesickerte Dokument hatte einen kollektiven politischen Aufschrei zur Folge. Es sei darin von nichts weniger als einer Pax Americana die Rede, wetterte der künftige Vizepräsident Joe Biden, das aber werde »nicht funktionieren«. 3 Kleinlaut milderte das Verteidigungsministerium die endgültige Version ein wenig ab, doch wie auch immer wir es nennen wollen, eine Pax Americana ist genau das, was die Vereinigten Staaten in den vergangenen gut zwanzig Jahren verfolgt haben (etliche davon mit Joe Biden im Weißen Haus).
    Die Lektion, die die Politiker aus der Pax Britannica nämlich eigentlich hätten lernen sollen, lautet, dass eine amerikanische Version sehr wohl funktionieren würde, wenigstens ein paar Jahrzehnte lang. Alles in allem hat die amerikanische Erfahrung seit 1989 tatsächlich verblüffende Ähnlichkeit mit der britischen im ausgehenden 19. Jahrhundert, und selbst die scheinbaren Ausnahmen bestätigen bloß diese Ähnlichkeit.
    Die außergewöhnlichste dieser Ausnahmen ist mit Sicherheit Westeuropa, die erste der vier Problemregionen, über die die Planer von 1992 sich den Kopf zerbrochen haben. Zwar sind die Parallelen in den westeuropäischen Erfahrungen mit dem britischen und dem amerikanischen Weltpolizisten augenfällig genug. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts blühten Westeuropas Ökonomien angesichts der vom britischen Weltpolizisten abgesicherten Märkte, und ein wohlhabendes, mächtiges Deutschland wurde in den 1890er Jahren zu Großbritanniens tödlichstem Rivalen. Ende des 20. Jahrhunderts blühten Westeuropas Ökonomien erneut bei – dieses Mal vom amerikanischen Weltpolizisten – abgesicherten Märkten, und viele Politiker (in Europa mehr noch als in den Vereinigten Staaten) fürchteten, dass das wiedervereinigte Deutschland das historische Szenario erneut abspulen könnte. (»Die Leute sagen. ›Es ist ein Jammer, dass Deutschland nicht in Hochform ist‹«, erklärte ein hochstehender französischer Beamter halb im Scherz, »aber ich sage: ›Wirklich? Wenn Deutschland in Hochform ist, marschiert es normalerweise sechs Monate später die Champs-Elyseés hinunter‹.«)
    Aber dazu kam es nicht. Stattdessen bewegte sich Westeuropa in eine Richtung, die auf den ersten Blick nicht nur die Analogie zwischen Großbritannien und Amerika, sondern auch so ziemlich jedes Argument dieses Buches in Frage zu stellen scheint. Weit davon entfernt, sich zum Rivalen des Globocops aufzuschwingen, hat Westeuropa Gewalt als politischem Mittel fast einhellig abgeschworen. Etwas wahrhaft Erstaunliches geschieht: Zum ersten Mal in der Geschichte schließen sich riesige Menschenmassen – 500 Millionen bisher – zu einer größeren, sichereren und wohlhabenderen Gesellschaft zusammen, ohne dass sie dazu gezwungen werden (Abbildung 7.1). Zum vielleicht allerersten Mal in der Geschichte hat das Wort über das Schwert gesiegt.
    Es ist eine epochale Wende, auch wenn sie leise abläuft. Ich habe die ersten 27 Jahre meines Lebens mittendrin zugebracht (wenn man aus Gründen der Vereinfachung einmal davon ausgeht, dass Großbritannien zu Westeuropa gehört), ohne zu bemerken, dass da etwas passiert. Ja, nichts konnte mich rascher dazu bringen, den Fernseher auszuschalten, als eine weitere Verlautbarung der Bürokraten aus Brüssel, die erläuterte, was ich essen und trinken dürfe und welche Größe der entsprechende Behälter dafür haben müsse.
    Aber ich war schwer im Unrecht – und mit mir Millionen andere, die genauso gedacht haben. Die Langeweile, die die Europäische Gemeinschaft (wie das Bündnis hieß, bis es sich 1993 in Europäische Union umbenannte) verbreitete, hatte Methode. Altmodische

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