Krieg – Wozu er gut ist
schwieriger wurde sein Job. Die Vermutung liegt nahe, dass die Geschichte im Begriff ist, sich zu wiederholen. Der amerikanische Koloss umspannt seit 2010 die Welt noch umfassender als die britische Ausgabe in den 1860er Jahren, und die Vereinigten Staaten scheinen die Erfahrung des Vereinigten Königreichs erneut zu durchleben. Je erfolgreicher Washington die Aufrechterhaltung der Weltordnung betreibt, desto reicher werden seine potentiellen Rivalen. Die unbekannten Unbekannten mehren sich, manche Spieler setzten bereits auf Risiko. Je näher wir dänischen Verhältnissen kommen, desto weiter scheinen sie zu entschwinden.
Als ich zum allerersten Mal in Neuengland war, erzählte mir jemand, der sein Leben dort verbracht hatte, eine hübsche Anekdote: Ein Tourist aus New York verirrt sich hoffnungslos im finstersten Massachusetts, vielleicht auch in Maine. Nachdem er eine Stunde lang im Kreis gefahren ist, hält er an, um nach dem Weg zu fragen. Ein ergrauter Ortskundiger zieht eine mögliche Route nach der anderen in Betracht, nur um sie sogleich wieder zu verwerfen. Schließlich schüttelt er müde den Kopf und teilt dem Touristen mit: »Von hier aus führt kein Weg nach da.«
Ein wenig hilfreicher Rat, klar, aber vieles legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine wirklichkeitsnähere Beschreibung unserer Welt handelt, als Angell sie mit seiner optimistischen Schilderung liefert. Vielleicht haben wir es nicht mit dem Rote-Königin-, sondern mit einem Schildkröte-und-Hase-Effekt zu tun. Die Menschheit ist durch ihr schnelles Gerenne weit gekommen: Die Mord- und Totschlagraten sind gefallen, der Wohlstandist gestiegen. Aber obwohl wir Dänemark immer näher kommen, werden wir von da, wo wir sind, nie ganz dorthin kommen. Der Hase rennt blindlings drauflos, bis ihm die Luft ausgeht. Die Schildkröte aber krabbelt unermüdlich voran, schafft neue Rivalen, neue unbekannte Unbekannte und manchmal sogar neue Stahlgewitter. So viel zum Happyend.
In diesem letzten Kapitel möchte ich darlegen, dass weder Angells Happyend noch die Anekdote meines Neuengländers sich besonders gut als Anhaltspunkt für künftige Geschehnisse eignen. Angells Überzeugung, der zufolge wirtschaftliche Verflechtungen Kriege undenkbar machen werden, war vor hundert Jahren genauso falsch, wie sie es heute ist. Dasselbe aber gilt für die Behauptung jenes Ortskundigen, dass von hier kein Weg nach da führt.
Es sieht so aus, als seien wir im Begriff, uns selbst die schlimmstmögliche aller Welten zu schaffen. Auf der einen Seite wird sie noch weniger stabil sein als die zwischen 1870 und 1920, als der damalige Weltpolizist seinen Niedergang erlebte, und auf der anderen sind ihre Waffen noch tödlicher als zu Zeiten des Kalten Krieges, als das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Menschheit bedrohte. Trotz der stetig abnehmenden Zahl an gewaltsamen Todesfällen im Verlauf der vergangenen vierzig Jahre und obwohl ein neuer Weltkrieg gegenwärtig mehr als unwahrscheinlich erscheint, versprechen die nächsten vierzig die gefährlichsten Jahre der Weltgeschichte zu werden.
Aber wenn wir einen Schritt zurücktreten und die kommenden Jahrzehnte aus derselben Perspektive betrachten wie die lange Geschichte der Gewalt in den Kapiteln 1 bis 6, rücken plötzlich ganz andere Teile des Bildes in den Mittelpunkt, und diesen will ich mich in den letzten Abschnitten dieses Kapitels zuwenden. Allen Widrigkeiten zum Trotz, so scheint dieses erweiterte Perspektive nahezulegen, werden wir letztlich doch von hier nach dort gelangen – nur wird »dort« nicht unbedingt der Ort sein, den wir erwartet haben.
Venus und Mars
Alle zwei Jahre veröffentlicht die Regierung der Vereinigten Staaten ein Strategiepapier mit dem Titel Defense Planning Guidance – einen Planungsleitfaden für die Verteidigung, in dem sie ihre offizielle Gesamtstrategie darlegt.Die meisten dieser Veröffentlichungen sind ziemlich öde Schriftstücke, aber im Februar 1992, nur zwei Monate nachdem die Sowjetunion sich aufgelöst hatte, tat der mit der Abfassung eines neuen Leitfadens beauftragte Ausschuss etwas Unerhörtes: Er offenbarte die Wahrheit.
Was er verfasste, lief auf eine Kurzanleitung für Globocops hinaus. Zwar könnten die Vereinigten Staaten nicht »die Verantwortung dafür übernehmen, alles Unrecht auszuräumen«, räumte er ein. Aber »wir werden mit aller Macht an der Verantwortung festhalten, speziell jenes Unrecht
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