Krieg – Wozu er gut ist
Großbritannien haben bisher zu diesem Mittel gegriffen: in beiden Fällen ging es um Interventionen in ihren vormaligen Kolonien. Selbst wenn es wie 1999 im Kosovo und 2012 in Libyen klare humanitäre Argumente für militärische Maßnahmen gab, haben die westeuropäischen Regierungen sich mit einer Vorsicht bewegt, die ihre amerikanischen Partner oftmals zur Weißglut getrieben hat. Die seltsame Konfrontation zwischen Schweden und Weißrussland im Juli 2012, nachdem ein schwedisches Kleinflugzeug über und den Außenbezirken von Minsk 1000 Plüschteddybären mit Forderungen nach Demokratisierung und Redefreiheit an kleinen Fallschirmen abgeworfen hatte, und Belarus darauf reagierte, indem es die für die Luftwaffe und die Grenzkontrolle verantwortlichen Generäle feuerte, ist vielleicht eher exemplarisch für die neue europäische Art der Kriegführung.
Im Jahr 2003 stellten Demoskopen mit ihren Umfragen fest, dass nur zwölf Prozent aller Franzosen und Deutschen der Ansicht waren, dass es Situationen gebe, die einen Krieg rechtfertigten – im Gegensatz zu 55 Prozent der Amerikaner. Und 2006 erklärten Befragte in Großbritannien, Frankreich und Spanien den Demoskopen gar, die kriegslüsternen Amerikaner stellten die größte Bedrohung für den Weltfrieden dar. Was zentrale strategische und internationale Fragen betrifft, so der Strategieforscher Robert Kagan, entwickeln sich Amerikaner und Europäer heute immer weiter auseinander. Er vergleicht das Verhältnis der beiden mit dem Unterschied zwischen Mars und Venus. 5
Der wachsende Gegensatz zwischen der europäischen und der amerikanischen Haltung zur Gewalt hat viele Diskussionen heraufbeschworen, sollte aber im Grunde niemanden verwundern. Die Europäer können venushaft agieren, weil die Amerikaner Marsianer sind. Ohne den Globocop Amerika wäre Europas Taubenstrategie nicht möglich, aber andererseits könnten es sich die Amerikaner ohne europäisches Taubengebaren nicht leisten, weiter den Weltpolizisten zu geben. Hätte die Europäische Union in den vergangenen 15 Jahren falkenhafter gehandelt, würden die Kosten für ein Gegensteuern die Position Amerikas längst unterminieren – genauso, wie die Kosten fürden Wettbewerb mit Deutschland den britischen Weltpolizisten vor hundert Jahren die Vorherrschaft gekostet hat. Mars und Venus brauchen einander.
Zwischen 1949 und 1989 hatte für Westeuropa die vorteilhafteste Strategie im Spiel des Todes darin bestanden, streitbar genug aufzutreten, um die Sowjetmacht abschrecken zu helfen, aber nicht so streitbar, dass es die Amerikaner in Alarmbereitschaft versetzt hätte (die Uneinigkeit darüber, wie genau dieses Gleichgewicht im Idealfall auszusehen habe, war mit ein Grund dafür, dass Frankreich sich 1966 aus der integrierten Kommandostruktur der NATO zurückzog). Seit 1989 aber konnte Westeuropa in Ermangelung ernsthafter Sicherheitsrisiken und mit den Vereinigten Staaten im Rücken, die jeden Falken abstrafen würden, immer friedfertiger werden (die Uneinigkeit darüber, welcher Falke zu bestrafen ist und welcher nicht, erklärt übrigens zum Teil den 2003 aufkeimenden europäischen Antiamerikanismus). Das Ergebnis: Im Unterschied zu Großbritannien im 19. Jahrhundert mussten amerikanische Regierungen nie fürchten, dass ihr Geld und ihr Protektionismus europäische Rivalen nähren würden, die ihre Position als Globocop angreifen könnten.
Europas Entwicklung in Richtung Venus hat freilich nichts an den geostrategischen Gegebenheiten geändert, die Mackinder vor einem Jahrhundert benannt hat. Seit dem 17. Jahrhundert hatte die britische Gesamtstrategie darin bestanden, mit der ganzen weiten Welt in Wettstreit zu treten und gleichzeitig zu verhindern, dass eine einzelne Macht das kontinentale Europa dominierte. »Wir haben keine ewigen Feinde und keine unvergänglichen Freunde«, soll der britische Außenminister Lord Palmerston 1848 erklärt haben, nur »unsere Interessen sind ewig und unvergänglich.« 6 Im Rahmen dieser Logik hätte er sehr gut verstanden, weshalb Großbritannien bisher der Eurozone ferngeblieben ist, bis zum Jahr 2017 ein Referendum zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union abhalten wird und deutlich weniger venushaft agiert als seine Nachbarn.
Auch die Osteuropäer zweifeln an der Macht der Venus. Eingeklemmt zwischen Kernland und innerem Rand und ohne natürliche Grenzen, die sie vor ihren mächtigen deutschen und russischen Nachbarn schützen könnten, glauben auch sie nicht,
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