Krieg – Wozu er gut ist
garantieren.« 7
Zu diesem Zeitpunkt hatte bin Ladens Organisation al-Qaida den Vereinigten Staaten im Namen aller Muslime den Krieg erklärt und an einem Tag 3000 Amerikaner getötet.
Seit Ende der 1990er Jahre hatte al-Qaida den Weltpolizisten mit einer neuen Sorte von Rivalen konfrontiert, der in so gut wie jeder Hinsicht sehr viel schwächer war als die Nationalstaaten, über die sich die Verfasser des Leitfadens von 1992 den Kopf zerbrochen hatten. Die Aussicht, dass al-Qaida oder einer ihrer Ableger eine Kernwaffe in ihren Besitz bringen und tausendmal mehr Menschen als am 11. September 2001 damit töten könnte, ist furchterregend, aber noch immer nicht halb so beängstigend, wie es eine Atommacht Irak gewesen wäre oder ein nuklearbewehrter Iran sein wird. Die Regierungen Vorderasiens können Hunderte von Sprengköpfen verstecken und auch Flugkörper bauen, die den Tod bis ins ferne Europa tragen, wenn es ihnen beliebt. In ein paar Jahren und mit den richtigen Freunden an ihrer Seite wird niemand auf der Erde sicher vor ihnen sein. Al-Qaida allein kann das nicht leisten, so sich kein staatlicher Verbündeter findet, und wird daher für den Weltpolizisten Amerika nicht die Art von Bedrohung darstellen, die Deutschland und die Vereinigten Staaten vor einem Jahrhundert für Großbritannien gebildet haben.
Dennoch ähnelt al-Qaida in vielem einer anderen Gefahr, mit der sich die britische Welt ausgangs des 19. Jahrhunderts auseinanderzusetzen hatte. Auch damals waren Terrorismus und religiöser Fundamentalismus als Reaktion auf das Wirken eines Globocops keine Ausnahme, und Anarchisten und Islamisten erlebten zwischen 1880 und 1910 goldene Zeiten. Kugeln und Bomben rafften Zaren und Präsidenten dahin, und Muhammad Ahmad, auch bekannt als »der Mahdi« (der von Gott geleitete), gründete im Sudan eine frühe Version eines religiös-politischen Rebellennetzwerks. Im Jahr 1883 vernichteten seine Anhänger eine über 10 000 Mann starke englisch-ägyptische Armee unter britischem Kommando, und im Jahr darauf nahmen sie Khartum ein und töteten einen weiteren britischen General. Großbritannien gelang es erst 1899, die Herrschaft der Mahdisten zu beenden, und hatte noch bis 1956 Truppen im Sudan stationiert.
Bin Laden hatte mit Muhammad Ahmad eine Menge gemein, war aber sehr viel gefährlicher, weil er einen realistischen Plan hatte. Ihm war nur zu klar, dass al-Qaida niemals eine direkte Gefahr für das Überleben der Vereinigten Staaten würde darstellen können, daher setzte er auf eine zweiteilige, indirekte Strategie. Der erste Schritt bestand im gewaltsamen Sturz jeder Regierung zwischen Algerien und Indonesien, die er als nicht hinreichend islamistisch betrachtete (das, was al-Qaida als den »Nahen Feind« bezeichnet), um ein Kalifat aller Gläubigen zu errichten; der zweite darin,die Vereinigten Staaten (den »Entfernten Feind«) in Kriege zu verwickeln, die sie sich nicht leisten konnten und nicht verstanden, bis sie es leid wären, nicht-islamistische Regierungen zu stützen. »Dann wird die Geschichte mit Gottes Willen abermals eine Wendung nehmen« erklärte al-Qaidas Nummer zwei, »gegen das Imperium der Vereinigten Staaten und die jüdische Weltregierung.« 8
Gegenwärtig – also Mitte 2013 – scheint es, als weigere sich die Geschichte, eine solche Wendung zu nehmen. Weit davon entfernt, den Nahen Feind zu besiegen, hat al-Qaida im gesamten Nahen und Mittleren Osten Angst und Schrecken verbreitet und mehr Araber als Amerikaner auf dem Gewissen. Ihre Ableger könnten vielleicht von den Unruhen in Libyen und Syrien profitieren, aber Afghanistan, der Sudan und Somalia hatten vor bin Ladens Kriegserklärung islamistische Regierungen und haben diese seither gestürzt. Und die Länder, in denen die Islamisten Regierungen ernsthaft unter Druck gesetzt haben – Algerien, Mali, Pakistan, der Jemen –, liegen alle ein gutes Stück außerhalb der entscheidenden ölreichen Golfregion. Einzig Pakistan mit seinem Arsenal an Kernwaffen stellt eine echte Bedrohung für die Weltordnung dar. Richard Holbrooke, Präsident Obamas früherer Berater für die Region, pflegte zu sagen: »Ein stabiles Afghanistan ist nicht entscheidend, ein stabiles Pakistan ist entscheidend.« 9
Die Gesamtstrategie der Vereinigten Staaten für al-Qaidas Krieg gegen den Nahen Feind bestand darin, der Attraktivität der Islamisten die Forderung nach demokratischen Reformen entgegenzusetzen. George W. Bush beabsichtigte voller
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