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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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gehen.
    So kam es, dass ich mich, als ich Anfang 2012 Gelegenheit bekam, dasTrainingszentrum der US Army im kalifornischen Fort Irwin zu besuchen *35 , urplötzlich mitten in einem nachgebauten Dorf mit lauter Moscheen und arabischsprechenden Schauspielern wiederfand, das überall im Nahen Osten hätte stehen können. Ich gesellte mich zu einer Gruppe auf einem unfertigen, vom Wind zerzausten Dach und sah Soldaten zu, die versuchten, ein paar »afghanische« Clanchefs zu einem Treffen zu bringen und dabei von falschen Dschihadisten aus dem Hinterhalt überfallen wurden. Eine Bombe in einem Mülleimer detonierte mit ohrenbetäubendem Donner. Aus Fenstern und von den Hügeln herab eröffneten Heckenschützen das Feuer. Ein Geländewagen ging zu Bruch und blockierte eine wichtige Kreuzung. Alles war unglaublich laut, staubig und verwirrend (Abbildung 7.3), aber der Konvoi kämpfte sich letztlich durch.
    Fort Irwin, ein Stückchen Mohave-Wüste in etwa von der Größe des Bundesstaates Rhode Island, ist die letzte Station, auf die amerikanische Soldaten abkommandiert werden, bevor sie ihren Einsatz in Übersee absolvieren. Seit mehr als drei Jahrzehnten kann dieses Trainingszentrum als Barometer dafür gelten, wie sich die amerikanische Verteidigungspolitik künftige Einsätze vorstellt. Wäre ich 1980 hierhergekommen, als das Zentrum eröffnet wurde, hätte ich Artilleriegefechte zwischen Hunderten von Panzern, die einander über lange Distanzen beschossen, einen Himmel voller Kampfjets und ganze Infanteriebataillone beobachten können, die triste Nachbauten mitteleuropäischer Städte stürmten. All das hatte sich 2005 geändert, als das Vorgehen gegen Aufständische in Kriegsgebieten in den Vordergrund strategischer Überlegungen trat. Sämtliche falschen Wohnblocks wurden abgerissen, bis auf eine Kulissenstadt zum Gedenken an die guten alten Zeiten. Von nun an erhoben sich aus dem Sand falsche Minarette und Schulen.
    Aber falls ich Gelegenheit haben sollte, in nächster Zeit noch einmal dorthin zu fahren, wird sich die Szenerie in der Mohave-Wüste erneut verändert haben. Die Niederschlagung von Aufständischen hat das Gesicht des Kampfes geprägt, solange der Globocop mächtig genug war, seine Rivalen samt und sonders davor zurückschrecken zu lassen, irgendetwas anderes als Guerillaüberfälle zu versuchen. Aber wie lange, so fragt sich die Armee jetzt, wird das noch so sein? Das Beste hoffend, aber für den schlimmsten Fall planend, hat man in Fort Irwin die Panzer wieder aus der Versenkunggeholt. Nahöstlich anmutende Hausattrappen weichen den Kulissen für verschiedenste Szenarien vom blitzkriegartigen Vorstoß bis hin zur Schießerei mit Gangstern auf offener Straße. Die neuen fiktiven Schauplätze könnten so ziemlich jeden Ort zwischen Syrien und Südkorea darstellen, aber größere kriegerische Auseinandersetzungen sind definitiv wieder zurück auf der Tagesordnung der Armee.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 7.3: Echte Kriegsspiele 2011
    In einem nachgebauten Nahost-Dorf im Trainingszentrum der amerikanischen Armee in Fort Irwin, Kalifornien, war am helllichten Tag der Teufel los.

    Jenseits aller Mühen des Weltpolizisten in Vorderasien scheint es mehr und mehr so zu sein, als sei Ostasien die Region, wo er bei dem Versuch, den Aufstieg strategischer Rivalen zu unterbinden, am grandiosesten scheitert. Entlang des äußeren Randes dieses Kontinents – der Inselkette von Japan bis Jakarta – sind seine Bemühungen im Großen und Ganzen gut gelaufen. Ja, in mancher Hinsicht ähneln die Entwicklungen in den Ländern an den äußeren Rändern Ostasiens sehr denen in Westeuropa. Japan war genau wie Deutschland 1945 zunächst entmilitarisiert und besetzt und dann unter amerikanischer Aufsicht erneut aufgerüstet und wieder zu den Märkten zugelassen worden. Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur zogen nach und entwickelten sich zu wahren Wirtschaftsriesen. Doch selbst in den 1980er Jahren, als Japan in nie gekannter Weise boomte und sein Bestand an amerikanischen Schatzanweisungen ungeheure Höhen erreichten, blieb die amerikanische Furcht, sich einen japanischen Rivalen geschaffen zu haben, eher verhalten.
    Bei den Ländern am inneren Rand Ostasiens sieht die Sache allerdings anders aus. Die Volksrepublik China kontrolliert nicht nur viele tausendKüstenkilometer, sondern auch einen breiten Streifen des eurasischen Kernlands, womit sie sich so ziemlich in derselben Lage befindet, in der sich Deutschland

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