Krieg – Wozu er gut ist
waren geopolitische Verwerfungen von ähnlichen Dimensionen wie Chinas Aufstieg stets von massiver Gewalt begleitet. Zu Europas Aufstieg zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert hatten 500 Jahre Krieg gehört, und die Verlagerung des ökonomischen Schwerpunkts von Europa nach Nordamerika zwischen 1914 und den 1980er Jahren löste veritable Stahlgewitter aus. Vielleicht wird es dieses Mal anders laufen, aber wer den Westpazifik in eine sinozentrische Umlaufbahn zieht, entreißt diese Region gleichzeitig der amerikanischen Umlaufbahn, und die Folgen für den Weltpolizisten könnten fatal sein – sehr ähnlich denen vielleicht, die Großbritannien gedroht hätten, wenn Deutschland Frankreich 1914 besiegt und auf immer von einer westeuropäischen Zollunion ausgeschlossen hätte.
Chinas führende Köpfe sind weder einzigartig versiert (wie es das konfuzianische Argument glauben macht) noch einzigartig bösartig (wie die schrilleren unter ihren Kritikern manchmal behaupten). Sie verhalten sich einfach nur genau wie alle anderen Staatenlenker der Welt und der Geschichte – aber genau das macht die Situation so besorgniserregend. China muss wie jedermann sonst das Spiel des Todes spielen. Seit 1980 hat es das Spiel meist sehr gut beherrscht, was (wie immer) bedeutet, sich wie Tauben zu verhalten, wenn sich dieses auszahlt, und wie Falken, wenn es dasnicht tut. Weit davon entfernt, Konfuzius gegen Mackinder einzutauschen, ist China (mit den Worten des Journalisten Robert Kaplan) eine »überrealistische Macht« geworden. 24
Im Bewusstsein seiner militärischen Schwäche, seiner diplomatischen Isolation und seiner strategischen Verletzlichkeit vermied China eine ganze Generation nach Maos Tod jede Konfrontation, pumpte aber gleichzeitig viel Geld in seine militärische Modernisierung. Zwischen 1989 und 2011 stiegen die Verteidigungsausgaben um das Siebenfache, während der amerikanische Verteidigungshaushalt – trotz ungeheurer Auslagen für den globalen Kampf gegen den Terror – nur um ein Viertel zulegte. *36
Es drängt sich, so der Strategieforscher Edward Luttwak, unausweichlich eine Analogie auf, und zwar zwischen der Situation Deutschlands in den 1890er Jahren und der des heutigen China. 25 Doch wenn auch beide Länder Unsummen ausgaben, um industrielle Macht in Militärmacht umzumünzen, so waren Chinas Investitionen doch klüger eingesetzt. Kaiser Wilhelm II. forderte das Vereinigte Königreich direkt heraus, indem er eine Kriegsflotte bauen ließ, China aber fordert die Vereinigten Staaten asymmetrisch heraus.
Die chinesischen Investitionen flossen vorwiegend in U-Boote, Minen und Kurzstreckenraketen. Diese können zwar der amerikanischen Dominanz auf den Weltmeeren nicht gefährlich werden, aber sie können die Gewässer rings um China für amerikanische Operationen zu riskant machen. Einem hochrangigen chinesischen Berater zufolge sucht Peking »im westlichen Pazifik nach mehr strategischem Raum, damit Amerikas strategische Waffen das Gelbe und das Ostchinesische Meer nicht überwinden können«. 26 Der Erfolg scheint nahe zu sein: strategische Simulationen, die von Mitarbeitern der RAND Corporation 2009 durchgespielt wurden, lassen vermuten, dass China bereits 2013 imstande wäre, einen Krieg gegen Taiwan zu gewinnen. Seine zigtausend Raketen würden an Land stationierte taiwanische Kampfflugzeuge in kürzester Zeit ausschalten, und da die amerikanische Luftflotte von Flugzeugträgern aus operiert, die außerhalb der Reichweite chinesischer Raketen auf hoher See kreuzen, oder gar vom entfernten Guam, hätte ein Einmarsch in Taiwan gute Chancen auf Erfolg.
Nichts von alledem spielte eine Rolle, wenn China sich auf eine ökonomische Schwerkraft verlassen könnte, die alle Dispute zu seinen Gunsten lösen würde, aber da Strategien nun einmal Strategien sind, kann die Realität immer auch ganz anders aussehen. Im Jahr 2010 waren Chinas Nachbarn durch dessen wachsende Macht derart alarmiert, dass einige davon sich gegen den Giganten zusammentaten. Wie vorherzusehen schlug China, sobald die Taubenstrategie nicht mehr verfing, den Falkenweg ein. Eine Reihe von Konfrontationen mit Japan, den Philippinen, Vietnam und sogar Indien folgte. Um ein unbewohntes Atoll nach dem anderen jagten sich die Flugzeuge, Fregatten beschossen einander mit Wasserkanonen, und mehrere Fischerboote wurden aufgebracht. »China im Fall Diaoyu-Inseln auf das Schlimmste vorbereitet«, titelte die Global Times (mehr oder minder offizielles
Weitere Kostenlose Bücher