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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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erwähnt, die Vermutung nahe, dass in Steinzeitgesellschaften etwa zehn bis zwanzig Prozent der Menschen eines gewaltsamen Todes starben; historische und statistische Daten zeigen, dass im 20. Jahrhundert nur ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung gewaltsam zu Tode gekommen sind. Das Risiko eines gewaltsamen Todes in den Reichen der Maurya, Han oder Römer lag wahrscheinlich zwischen zwei und zehn Prozent; und meiner Schätzung nach (da wir praktisch keine quantifizierbaren Informationen haben, kann es nur eine Schätzung sein) lag die Zahl eher an der Unter- als an der Obergrenze dieser Spanne.
    Ich sage das aufgrund einiger Zahlenmodelle, die ich für meine beiden letzten Bücher Wer regiert die Welt? und The Measure of Civilization erstellt habe. Ich habe darin einen groben Index gesellschaftlicher Entwicklung errechnet, der die Fähigkeit von Gesellschaften misst, sich zu organisieren und zu erledigen, was auf der Welt zu erledigen ist. Gesellschaftliche Entwicklung entspricht nicht genau Leviathans Stärke, kommt ihr aber sehr nahe.
    Die Ergebnisse dieses Index legen den Schluss nahe, dass zur Zeit der Schlacht am Mons Graupius im Jahre 83 n.   Chr. die gesellschaftliche Entwicklung Roms in etwa auf dem Niveau stand, das Westeuropa erst wieder im frühen 18. Jahrhundert erreichen sollte. Der Spitzenwert der Entwicklung im China der Han-Dynastie lag etwas tiefer, etwa auf dem Niveau Westeuropas Ende des 16. Jahrhunderts, als Shakespeare sich einen Namen zu machen begann. Der Höchststand der Entwicklung im Maurya-Reich lag noch etwas tiefer, vielleicht um das Niveau, das Westeuropa im 15. Jahrhundert erreichte.
    Diese Resultate implizieren meiner Ansicht nach, dass die Reiche des Altertums, auch wenn sie es nicht nach Dänemark schafften, so doch immerhin dorthin, wo Westeuropa grob geschätzt zwischen 1450 und 1750 hinkommen sollte. Und wenn das auch nur annähernd richtig ist, dann könnte man womöglich auch mit Recht unterstellen, dass die Raten gewaltsamenTodes zu Zeiten der Römer, Maurya und Han in etwa vergleichbar sind mit denen Westeuropas zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert, was uns auf eine Zahl über zwei, aber unter fünf Prozent brächte.
    Es handelt sich hier natürlich um eine sehr grobe Schätzung mit einer Unzahl von Unwägbarkeiten. Allerwenigstens muss es erhebliche Variationen gegeben haben, sowohl innerhalb der Reiche selbst als auch im Vergleich. Das Risiko eines gewaltsamen Todes dürfte immer noch eher bei fünf Prozent gelegen haben als bei zwei, als Rom im 3. Jahrhundert v.   Chr. Krieg gegen Karthago führte, und dürfte während des turbulenten 1. Jahrhunderts v.   Chr. wieder in diesen Bereich hochgerückt sein. Im 2. Jahrhundert n.   Chr. jedoch, für Gibbon Roms goldenes Zeitalter, dürfte es nicht viel über zwei Prozent gelegen haben.
    Weder das Han-Reich noch das der Maurya scheint diese Werte erreicht zu haben, und das weniger gut dokumentierte Partherreich könnte gut und gerne über der Fünf-Prozent-Marke geblieben sein. Aber alles in allem müssen wir zu dem Schluss kommen, dass gegen Ende des 1. Jahrtausends v.   Chr. alle antiken Reiche auf dem besten Wege nach Dänemark waren. Die Raten gewaltsamen Todes dürften seit Beginn des Caging-Prozesses in den Glücklichen Breiten um 75 Prozent gefallen sein.
    Es war dies ein dramatischer Rückgang, aber es brauchte dazu fast 10   000 Jahre. Das allein schon mag erklären, warum Cicero und Calgacus hinsichtlich der Folgen von Roms Kriegen derart unterschiedlicher Auffassung waren. Calgacus, Krieger einer vorschriftlichen Gesellschaft, hatte nur den Blick auf die jüngste Geschichte und sah – billigerweise – nichts als Tod, Zerstörung und Wüstenei. Cicero, ein Intellektueller in einem großen Imperium mit einer langen Geschichte, blickte zurück auf achthundert Jahre Expansion und sah unter dem Strich eine produktive Art der Kriegführung, die alle – die Eroberer wie die Eroberten – sicherer und reicher gemacht hatte.
    Als Agricola seine Armeen Ende 83 n.   Chr. zurück in ihre Kastelle führte, war er davon überzeugt, einen produktiven Krieg zu führen. Er mochte nach der Schlacht am Mons Graupius eine Wüstenei hinterlassen haben, aber er würde wieder dorthin zurückgehen, und in seinem Gefolge würden Bauern, Bauunternehmer und Händler kommen. Diese würden die Felder bestellen, Straßen bauen und italienischen Wein importieren. So würde man die Grenzen des Reichs immer weiter und noch weiter

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