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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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ziehen; und so würden sich auch Friede und Wohlstand immer weiter ausbreiten.
    Wenigstens sah der Plan es so vor.

Kapitel 3
Die Barbaren schlagen zurück
    Die kontraproduktive Art des Krieges, 1 bis 1415 n.   Chr.
Die Grenzen des Reichs
    Agricolas Plan sollte nicht aufgehen. Anstatt wieder nach Kaledonien zurückzukehren, wurde der Statthalter aus Britannien abberufen und begab sich aufs Altenteil ins sonnige Italien. Die Elite seines Heeres sah sich in den Balkan versetzt, und der Rest verschanzte sich in eine Reihe von Kastellen im Norden Englands. Ihre Tage der Eroberung waren vorbei.
    Vindolanda war eines dieser Kastelle und ist eine der prominentesten Grabungsstätten Großbritanniens. Hier graben Archäologen seit 1973 in mühevoller Kleinarbeit eine Reihe römischer Müllkippen aus. In einer dieser Gruben, die derart mit Urin und Fäkalien verstopft waren, dass kein Sauerstoff eindringen konnte, fand man Hunderte von mit Tinte auf Holzbrettchen geschriebenen Soldatenbriefen (Abbildung 3.1). Die ältesten davon gehen zurück auf das Jahr 90 n.   Chr., also auf die Zeit unmittelbar nach dem Ende von Agricolas Feldzügen. Es fanden sich darunter einige ganz besondere Stücke wie etwa die Einladung zu einer Geburtstagsfeier, aber die meisten brachten nichts weiter zum Ausdruck als gähnende Langeweile. Offensichtlich hatten römische Soldaten im 1. Jahrhundert n.   Chr. auch nichts anderes im Kopf als die amerikanischen des 21. Jahrhunderts in Afghanistan: Nachricht von zu Hause, das lausige Wetter und die ewige Suche nach Bier, warmen Socken und einer schmackhaften Mahlzeit. Das Garnisonsleben hat sich in den letzten 2   000 Jahren nicht sehr verändert.
    In diesen Kastellen blieben die Reste von Agricolas Heer die nächsten vierzig Jahre über. Sie schrieben nach Hause, lieferten sich tödliche kleine Scharmützel mit den Kaledoniern (»es hat hier eine Menge Reiterei« 1 , heißt es in einem der uringetränkten Memos aus Vindolanda), aber in erster Linie warteten sie. Erst ab etwa 120 n.   Chr. brachen sie wieder auf, wenn auch nicht zu neuen Triumphen. Stattdessen kommandierte Kaiser Hadrian sie dazu ab, die gewaltige Mauer quer durch England zu ziehen, die seinen Namen trägt. Rom hatte die Eroberung des Nordens aufgegeben (Abbildung 3.2).
    Laut Tacitus ereignete sich all dies, weil Kaiser Domitian neidisch auf Agricolas Triumphe gewesen sei. Vielleicht hatte er damit nicht ganz unrecht, aber es war nun einmal die Aufgabe des Herrschers, das große Ganze zu sehen, und das nahm sich zusehends finster aus. Selbst vor der Schlacht am Mons Graupius hatte Domitian bereits erste Kontingente aus Agricolas Legionen zurückbefohlen, um die Verteidigungslinien am Rhein zu verstärken, und als der Kaiser 85 n.   Chr. die besten Truppen aus Britannien abzuziehen begann, ging es darum, die Lücken in der abbröckelnden Grenze an der Donau zu stopfen. Diese strategische Wende tat ihre Wirkung, und die Grenze den Fluss entlang hielt. Domitian jedoch zog daraus einen radikalen Schluss: Für Rom ließ sich aus dem produktiven Krieg kein Nutzen mehr ziehen.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 3.1Manche Dinge ändern sich nie
    Flavius Cerialis, Präfekt der 9. Kohorte batavischer Hilfstruppen (aus der Gegend der südlichen Niederlande), klagt in einem Brief aus dem Kastell Vindolanda im englischen Norden über den Regen. Der Brief ist auf den 4. Oktober datiert, wahrscheinlich aus einem Jahr irgendwann um 100 n.   Chr.

    Seit fast hundert Jahren hatten die Römer sich auf diesen Schluss zubewegt. Zwischen 11 v.   Chr. und 9 n.   Chr. hatte Kaiser Augustus systematisch einen Krieg geführt, der – hätte er ihn gewonnen – der produktivste aller römischen Kriege geworden wäre. Ihm ging es darum, die Reichsgrenze bis an die Elbe vorzuschieben, um ein Gebiet zu schlucken, das heute die Niederlande, einen Teil der Tschechischen Republik und fast ganz Deutschland umfasst. Das Ganze endete jedoch in der Katastrophe: Über eine Linie von gut fünfzehn Kilometern gewundener Wege und tiefer finsterer Wälder verteilt, ihre Bogensehnen und Rüstungen vom sintflutartigen Regen durchnässt, marschierten die Römer in einen Hinterhalt – man hatte sie verraten. In der folgenden dreitägigen Schlacht kamen etwa 20   000 Römer ums Leben, und der Feind erbeutete, was für Roms Kriegerklasse noch weit entsetzlicher war, drei Legionsstandarten. Die römischen Armeen rächten sich dafür mit einem Jahrzehnt voll Totschlag,

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