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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Plünderung und Schändung, aber letzten Endes führte dieses Desaster zum Überdenken der Gesamtstrategie des Römischen Reiches. Mit einem Mal schienen Eroberungen der Mühe nicht mehr wert. Als Augustus 14 n.   Chr. starb, enthielt sein Testament einen guten Rat für seinen Nachfolger: Er »solle sich bescheiden innerhalb der jetzigen Grenzen des Reiches«. 2
    Die meisten Männer, die Augustus auf den Thron folgten, hielt sich an diesen Rat. Claudius brach die Regel schließlich, als er 43 n.   Chr. in England einfiel, aber Domitian blies die Feldzüge in den 80er Jahren bereits wieder ab. In besonders eklatanter Weise verstieß Trajan dagegen, als er nach 101 n.   Chr. einen Gutteil des heutigen Rumäniens und des Iraks überrannte; als Hadrian ihn jedoch im Jahr 117 ablöste, bestand eine seiner ersten Amtshandlungen darin, diese Gewinne wieder aufzugeben.
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    Abbildung 3.2Die Grenzen des Reichs im Westen
    In diesem Kapitel erwähnte Gebiete im westlichen Eurasien.

    Roms Kaiser tasteten so nach einer profunden strategischen Erkenntnis, die 17 Jahrhunderte später Carl von Clausewitz, zweifelsohne der größte militärische Denker überhaupt, als eine der grundlegenden Maximen der Kriegführung formulierte: »Es tritt oft, sogar meistens ein Kulminationspunkt des Sieges ein«, bemerkte er. 3 »Jenseits dieses Punktes liegt der Umschwung, der Rückschlag; die Gewalt eines solchen Rückschlages ist gewöhnlich viel größer, als die Kraft des Stoßes war.« 4 Ob Clausewitz das die eigene Erfahrung gelehrt hat (er verließ die preußische Armee 1812 und trat in russische Dienste, um gegen Napoleon kämpfen zu können, was ihm in Preußen nicht möglich war) oder seine intensiven Studien der römischen Kriege, ist unklar, aber es ist womöglich kein Zufall, dass ausgerechnet der moderne Stratege Edward Luttwak, der sich besonders mit dem Problem von Kulminationspunkten befasst hat, auch das beste Buch über römische Großstrategien geschrieben hat. »Im gesamten Bereich der Strategie«, sostellt Luttwak fest, »kann ein bestimmtes Vorgehen nicht ewig fortgesetzt werden. Es wird sich eher in sein Gegenteil verkehren.« 5
    Jahrhundertelang waren Eroberungskriege produktiv gewesen, indem sie für immer größere Reiche gesorgt hatten, die ihre Untertanen nach und nach sicherer und reicher machten. Aber als der Imperialismus des Altertums sich seinem Kulminationspunkt näherte, kehrte die verdrehte Logik des Kriegs alles ins Gegenteil um. Nicht nur war Krieg nicht länger produktiv, er wurde durch und durch kontraproduktiv; er zerschlug große Gesellschaften und sorgte dafür, dass Menschen ärmer wurden und ihr Leben gefährlicher.
    Für die Herrscher des Altertums waren die ersten Anzeichen dafür die abnehmenden Erträge ihrer Eroberungen. Solange die Römer sich nicht weit über den Mittelmeerraum hinausbewegten, spielte Größe kaum eine Rolle, da der Transport zu Wasser relativ billig und schnell war. Aber in einer Welt, in der Armeen mit dem Tempo eines Ochsenkarrens vorankamen, sorgten Vorstöße ins Landesinnere – ins Gebiet des heutigen Deutschlands, Rumäniens oder des Irak – für eine Explosion der Kosten. Es war fast genau so teuer, eine Tonne Korn auf Karren zu verladen und zehn Meilen über Land zu fahren, wie dieselbe Tonne per Schiff von Ägypten nach Italien zu schaffen; und den legendären römischen Straßen zum Trotz schienen spätestens im 1. Jahrhundert n.   Chr. die Erträge aus dem Krieg – mochte man sie nun in Gold oder Ruhm messen – die Kosten nur noch selten zu rechtfertigen.
    Am anderen Ende Eurasiens rangen Chinas Herrscher mit derselben Rechnung (Abbildung 3.3). Zwischen 130 und 100 v.   Chr. wüteten die Armeen der Han; sie sorgten für die Eingliederung der heutigen chinesischen Provinzen Gansu, Fujian, Zhejiang, Yunnan und Guangdong sowie eines großen Teils von Zentralasien, fast ganz Koreas und eines Zipfels von Vietnam (ganz zu schweigen von den Strafexpeditionen in die Weiten der Mongolei). Nach 100 v.   Chr. jedoch machte sich am Hof von Chang’an die Ansicht breit, die Kosten an Blut und Schätzen seien das Ganze nicht wert. Je weiter sich die Armeen vom Gelben Fluss und dem Jangtsekiang entfernten, desto höher wurden die Kosten und desto geringer die Erträge. In den 80er und 90er Jahren v.   Chr. kam es zu erneuten Vorstößen nach Zentralasien und Burma, denen eine weitere Flaute folgte, und im Gefolge eines schrecklichen Bürgerkriegs

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