Krieg – Wozu er gut ist
trainieren.
Im Fall der Reiterei jedoch taten sich die Glücklichen Breiten weit schwerer damit, Reichtum, Organisation und zahlenmäßige Stärke in Siege umzumünzen, wenn der Feind praktisch im Sattel lebte und über Gebiete herrschte, die zur Pferdezucht perfekt geeignet waren. Selbst die Siege der Tang brachten nur vorübergehende Vorteile. Was die Glücklichen Breiten brauchten, war eine weitere Revolution im Militärwesen, die ihnen wieder einen Vorteil verschafft hätten, aber es kam keine. Auf jede technische Neuerung, die sich zum Vorteil der Glücklichen Breiten auswirkte (wie bessere Schiffe, Burgen und Infrastruktur), kam eine, die den Nomaden noch mehr brachte (wie etwa Steigbügel und die Aufzucht kräftigerer Pferde).
Was die Gleichung schließlich wieder verändern sollte, war die Erfindung des Schießpulvers, aber man hätte schon eine sehr gute Kristallkugel haben müssen, um das vor 1400 kommen zu sehen. Die früheste Anspielung auf dieses Pulver stammt aus dem 9. Jahrhundert: Chinesische Taoistenmönche hatten auf der Suche nach einem Elixier der Unsterblichkeit eine Mischung aus Schwefel und Salpeter in Brand gesetzt und dabei festgestellt, dass sie auf wunderbar unterhaltsame Weise zu zischen und zu brennen begann. Sie fanden bald zwei Anwendungen für dieses Pulver. Die erste, das Feuerwerk, verlängerte das Leben nun sicher nicht, die zweite, die Feuerwaffe, versprach allenfalls, es zu verkürzen.
Die älteste erhaltene Herstellungsanweisung für Schießpulver stammt aus dem Jahr 1044 und sah nicht genügend Salpeter für eine Explosion vor. Statt wie bei Kanonen, bei denen die Explosion von Schießpulver ein Projektil – etwa eine Kugel – aus einem Lauf schleudert, versprühten frühe chinesische Waffen brennendes Pulver aus Bambusrohren; oder man benutzte Katapulte, um mit der »Feuerdroge« gefüllte Papiertüten zu verschleudern. Alles in allem war das Schießpulver zunächst gefährlicher für den, der es einsetzte, als für den Feind.
Wenn überhaupt, so schien das militärische Gleichgewicht sich noch im 14. Jahrhundert zugunsten des Barbarentums zu neigen, nicht zuletzt deshalb, weil die Barbaren von den Gegnern zu lernen verstanden. Als 378 die Goten ins Römische Reich strömten, hatten sie feststellen müssen, dass sie zwar Schlachten gewinnen, aber keine Städte erobern konnten. »Die Mauern dürfen im Frieden bleiben« 27 , hatte einer ihrer Feldherren schließlich gesagt. Zwei Generationen später jedoch, als Attila in dieselbe Region des Römischen Reichs einfiel, spielten sich ganz andere Szenen ab. Als er 442 seinen Weg durch die massiven Befestigungsanlagen von Naissus (Nisch im heutigen Serbien) blockiert sah, ließen Attila seine Hunnen Bäume fällen und Dutzende von Rammen bauen. »Von den Mauern herab lassen die Verteidiger wagengroße Felsbrocken fallen«, schrieb der Diplomat und Geschichtsschreiber Priskos. »Einige [Rammböcke] haben sie zusammen mit den an ihnen arbeitenden Soldaten zerschmettert, aber sie konnten gegen die große Anzahl an Maschinen kaum Hoffnung haben. Dann schaffte der Feind Kletterleitern heran …, und so wurde die Stadt erobert.« 28
Attila konnte sich mit der Beute aus seinen Siegen die besten römischen Ingenieure leisten, die ihm seine Großzügigkeit dadurch vergolten, dass sie ihn die Schwächen der von ihnen selbst gebauten Verteidigungsanlagen auszunutzen halfen. Infolgedessen, so ein Autor aus dem 5. Jahrhundert, wurde das »Barbarenvolk der Hunnen … so stark, dass sie mehr als hundert Städte besetzten und beinahe Konstantinopel in Gefahr brachten, und die meisten Männer flohen aus der Stadt. Sogar die Mönche wollten fortlaufen nach Jerusalem.« 29 In Nikopol, einer der geplünderten Städte im heutigen Bulgarien, hat man extensive Ausgrabungen vorgenommen, die die ganz und gar erstaunliche Gründlichkeit der hunnischen Zerstörung deutlich machen. Nicht einer hat dort sein Haus wieder aufgebaut.
Die Nomaden erstarkten zusehends. Spätestens 1219, als Dschingis Khan in das mächtige, wenn auch heute größtenteils vergessene Choresmier-Reich im Osten des Iran einfiel, verfügte sein Mongolenheer über ein ständiges Korps chinesischer Techniker. Unter deren Aufsicht gruben Kriegsgefangene Tunnel, leiteten Flüsse um, bauten Katapulte, Rammen, Türme und beschossen die Verteidiger mit brennendem Pulver. Laut Johannes de Plano Carpini, dem ersten Europäer überhaupt, der am Hofe eines mongolischen Khans lebte, arbeiteten
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