Krieg – Wozu er gut ist
Theorie stimmt, ist zu erwarten, dass die Dinge in der Neuen Welt ziemlich ähnlich verliefen, wenn auch aufgrund der Überschreitung zahlreicher Biomgrenzen um einiges langsamer, und wieder zeigt die verfügbare Beweislage genau das. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Mais, Squash und Bohnen brauchten bis 500 n. Chr., um von Mexiko ihren Weg nach Norden bis in die Flusstäler zu finden, die den amerikanischen Südwesten durchziehen. Die Region war damals feuchter als heute, trotzdem war auf den Regen kein Verlass, und die einzige Möglichkeit, das ausgetrocknete Land zu bestellen, bestand darin, Bewässerungskanäle zu ziehen. Nichts fördert den Caging-Prozess so sehr wie der Wassermangel, und um 700 n. Chr. lebten auf den besten Flecken zu viele Menschen, die einander verbittert bekämpften. In Ausgrabungsstätten aus dem 8. und 9. Jahrhundert fanden sich ausgebrannte Dörfer und haufenweise mit der Steinaxt eingeschlagene Schädel und Skelette mit Pfeilspitzen in der Brust.
Nach 900 jedoch hörten die Kämpfe allem Anschein nach auf. Archäologen sprechen in diesem Zusammenhang gerne vom »Chaco-Phänomen«,nach den beeindruckenden Stätten im Chaco Canyon, New Mexiko, aber Pax Chacoa träfe es womöglich besser. Die Menschen dort konzentrierten sich in noch größeren Gruppen (womöglich 10 000 im Chaco Canyon), bauten größere Häuser mit mehr Vorratskammern und weiteten ihren Handel auf immer größere Entfernungen aus.
Die Pax Chacoa dauerte bis etwa 1150, dann war auch sie zu Ende. Vielleicht von einem sich stetig verschlechternden Klima getrieben, verließen die Menschen große Gemeinschaften wie die im Chaco Canyon oder in Snaketown am Gila River in Arizona. Sie bekriegten einander wieder heftiger, patzten bei der Instandhaltung der Bewässerungssysteme und gaben die langen Handelsreisen auf. Und so setzte sich der Prozess fort. Am Gila tauchten im 13. Jahrhundert gar noch beeindruckendere Städte auf, oft mit Amphitheatern für zeremonielle Ballspiele, wie man sie aus Mesoamerika kennt, aber auch die Hohokam-Kultur (wie man die Erbauer dieser Stätten nennt) war bis 1450 wieder zerfallen.
Wir könnten hier noch weitere Beispiele anführen wie etwa Cahokia, eine ganz außergewöhnliche präkolumbianische Stadt am Mississippi, aber ich denke, die genannten genügen zur Erläuterung meiner These. Auch wenn geografische Unterschiede den Prozess im Einzelfall unterschiedlich ausgestalteten, so setzte doch überall dort, wo der Ackerbau Fuß fassen konnte, zwischen 200 und 1400 n. Chr. ein rasanter Caging-Prozess ein, der den produktiven Krieg nach sich zog.
Die eine große Ausnahme zu diesem Muster war das Gebiet, dem praktisch dieses ganze Kapitel galt: die Glücklichen Breiten Eurasiens. Hier änderte sich zu Beginn des ersten nachchristlichen Millenniums die Bedeutung der geografischen Gegebenheiten insofern, als die Agrarreiche mit Steppennomaden in Konflikt kamen, was die damit nicht mehr so Glücklichen Breiten in einen Teufelskreis von produktiven und unproduktiven Kriegen geraten ließ.
Zwischen 200 und 1400 n. Chr. war Eurasiens Formel Pferde + Steppe + Agrarreiche einzigartig auf dem Planeten. Möglicherweise hätte sich, mit der nötigen Zeit, diese Formel mitsamt dem verhängnisvollen Zyklus, für den sie sorgte, andernorts wiederholt. Im 18. Jahrhundert, als europäische Pferde in den steppenartigen Great Plains Nordamerikas eintrafen, schufen die Komantschen ein Nomadenreich, das Historiker – bei allen kulturellen Unterschieden zwischen amerikanischen Ureinwohnern und Mongolen – gerne als kleinere Version von Dschingis Khans Imperium sehen. Vielleichthätten sich im Lauf der Zeit ähnliche Imperien auf den Steppen Argentiniens und Südafrikas bilden können.
Aber so wie die Dinge lagen, bezahlte Eurasien einen hohen Preis dafür, zwischen 200 und 1400 n. Chr. in besagtem Teufelskreis gefangen zu sein, während ein Gutteil der übrigen Welt mit produktiven Kriegen beschäftigt war. Der enorme Vorsprung in der Entwicklung, den Eurasien sich während der vorangegangen 10 000 Jahre erarbeitet hatte, schmolz allmählich dahin. Die Lücke zwischen, sagen wir mal, Ming-China und den Inkas im 15. Jahrhundert blieb riesig, aber hätten die Trends von 200 bis 1400 noch einige Jahrhunderte angehalten, dann hätte sich das geändert. Entsprechende Bedingungen vorausgesetzt, wäre es durchaus denkbar, dass das 21. Jahrhundert eine ganz andere Welt hätte werden können, eine
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