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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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den Weg nach Kafiristan zu erfahren (Abbildung 4.1).
    Dravot sagte: »›Meiner Ansicht nach liegt’s gleich rechts von Afghanistan, höchstens dreihundert Meilen von Peschawur entfernt. Sie haben dort zweiunddreißig Götzenbilder, und wir werden das dreiunddreißigste und das vierunddreißigste sein … Das is alles, was mir wissen‹, fuhr Dravot fort, ›außer höchstens, dass noch kein Mensch nicht dort war, und dass dort immer gekämpft wird. Aber, wo gekämpft wird, da is auch jemand nötig, der die Leute abrichtet, und das verstehen mir besser als irgendeiner.‹«
    Dravot und Carnehan verkleideten sich als verwirrter muslimischer Priester und sein Diener und schleppten sich mit zwanzig Martini-Henry-Gewehren, die sie auf zwei Kamelen versteckten, durch Sand- und Schneestürme, bis sie in einer großen, schneebedeckten Ebene auf zwei Banden stießen, die sich mit Pfeil und Bogen beschossen. »›Jetzt geht unser Gschäft an‹, hat der Dravot gsagt und hat die Gewehre ausgepackt, ›mir werden für die zehn Mann kämpfen.‹ Einen hat er auf zweihundert Meter gleich runtergeschossen von dem Felsen aus, auf dem er gesessen is. Die andern haben zum laufen angefangt, aber der Carnehan und der Dravot haben sie – einen nach dem andern – von ihre Koffer aus erlegt.«
    Die Überlebenden suchten Deckung, wo es ging. Aber Dravot ist »hingangen, hat sie mit dem Fuß gstoßen, hat sie dann aufghoben und einem nach dem andern die Hand gschüttelt, um sie freundlich zu stimmen. Er hat ihnen die Koffer zum tragen geben und hat gnädig mit der Hand gewunken, als ob er schon König war.«
    Nun schwang sich Dravot zum stationären Banditen auf. Er und Carnehan haben »die beiden dicken Bürgermeister der beiden Dörfer beim Arm gepackt, sin in die Schlucht hinunter und ham mit einem Speer in den Sand eine Grenze gezogen und jedem von ihnen einen Batzen Erde gegeben zum Zeichen, wem das Land gehört«. Sie holten die Dorfbewohner zusammen, und »der Dravot hat gsagt: ›Gehet hin und pflüget dieErde; seid fruchtbar und vermehret euch!‹ Des ham sie dann gmacht.« Als Nächstes hat der Dravot »die Priester von jedem Dorf zu die Götzen geführt und ihnen befohlen, dort Gericht zu halten über das Volk, und wann einer net folgen möcht, so würde er erschossen«. Und schließlich »ham mir zwanzig stramme Burschen ausgesucht und ihnen gezeigt, wie man eine Flinte abschießt und sich zu viert anstellt und in einer Linie vorrückt; sie habens auch gleich begriffen und sich mordsmäßig gfreut«. In jedem Dorf, in das Carneham und Dravot kamen, ließ ihre Armee durchblicken, »dass sie alle umgebracht würden, wenn sie sich unterstehen sollten zu schießen, diese Leut ham nämlich Luntengewehre gehabt«. Und schon bald hatten sie Kafiristan befriedet, und Dravot wollte das Land Königin Victoria schenken.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 4.1Karte Asiens
    Orte, die in diesem Kapitel erwähnt sind.

    Dravot, Carnehan und die 32 heidnischen Götzenbilder Kafiristaus existierten in Wirklichkeit nicht. Rudyard Kipling erfand sie 1888 für seine Erzählung Der Mann, der König sein wollte , um Lesern, die auf spannende Geschichten über imperiale Heldentaten brannten, Nervenkitzel zu bieten. Seine Erzählung wurde jedoch ein solcher Erfolg – und lohnt sich noch heute zu lesen –, weil die Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts ebenso seltsam war wie Kiplings Fiktion.
    Nehmen wir beispielsweise James Brooke, einen ungestümen jungen Mann, der mit 16 Jahren zur British East India Company kam. Nachdem er in Birma schwer verwundet worden war, kaufte er ein Schiff, rüstete es mit Kanonen aus und segelte 1838 nach Borneo. Dort half er dem Sultan von Brunei, eine Rebellion niederzuschlagen. Der dankbare Herrscher machte ihn zum Gouverneur der Provinz Sarawak, die Brooke bis 1841 zu seinem eigenen Königreich ausbaute. Seine Nachfahren – die Weißen Radschas – herrschten über drei generationen hinweg und übergaben Sarawak 1946 gegen eine (überaus) großzügige Pension dem britischen Staat. Bis heute ist der bekannteste Pub in Sarawak nach Brookes Schiff benannt: The Royalist.
    Die Hoffnung, es Brooke nachzutun, lockte Kiplings Helden nach Kafiristan, wie er sie sagen lässt: »Mir ham uns nämlich überlegt, dass es nur einen Ort auf der Erde gibt, wo zwei starke Männer wie wir ›sarawacken‹ können.« Allerdings waren sie nicht die Ersten, die in Zentralasien zu »sarawacken« versuchten. Im selben Jahr, als Brooke in Brunei

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