Krieg – Wozu er gut ist
Welt, in der sich die Erben von Groß-Simbabwe nach der Einigung eines Gutteils von Schwarzafrika auf ihrem Weg in den Mittelmeerraum furchtbare Reiterschlachten mit Gegnern im Niltal hätten liefern können. Oder eine Welt, in der eisenbewehrte mexikanische Heere die letzten freien Bauern Nordamerikas unterjocht und Flotten gebaut hätten, um Krieg gegen die berühmten Seefahrer des Polynesischen Reichs zu führen. Und eine Welt, in der entlang der Glücklichen Breiten Imperien hätten aufsteigen und untergehen können, ohne je die Oberhand über die Steppennomaden zu bekommen.
Nach einem halben Dutzend Jahrhunderten hätte womöglich der Rest der Welt mit Eurasien gleichgezogen. Aber dazu ließ Eurasien dem Rest der Welt nicht die Zeit.
»Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein«
1415 ließ eine Handvoll Europäer die Welt wissen, dass die Zeit knapp zu werden begann.
In jenem Oktober kauerte, halb erfroren, eine unselige englische Armee zwischen zwei regennassen Wäldern in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Azincourt. Zwei Wochen hatten die Engländer ihre Karren durch den Schlamm gezerrt in dem Versuch, den Franzosen zu entkommen, die ihnen zahlenmäßig vier zu eins überlegen waren. Jetzt jedoch saßen sie in der Falle.
Wie das so Brauch war, trat der englische König vor seine Mannen, um ihnen vor der Schlacht Mut zu machen. »Der heut’ge Tag heißt Crispianus’Fest«, stellte Shakespeare sich seine Ansprache vor. An diesem Tag, so sagte König Heinrich V. seinen Leuten, würden sie einen der großen Siege der Geschichte erringen, einen Sieg so groß, dass
Wer heut am Leben bleibt und kommt zu Jahren,
Der gibt ein Fest am heil’gen Abend jährlich
Und sagt: »Auf Morgen ist Sankt Crispian!«,
Streift dann die Ärmel auf, zeigt seine Narben
Und sagt: »An Crispins Tag empfing ich die.« …
Der wackre Mann lehrt seinem Sohn die Märe,
Und nie von heute bis zum Schluss der Welt
Wird Crispin Crispian vorübergehn,
Dass man nicht uns dabei erwähnen sollte,
Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder. 35
Und so kam es denn auch. Bis Mittag hatten die Engländer 10 000 Franzosen erschlagen und dabei selbst nur 29 Mann verloren. Die Leichen der Franzosen, so die Chronisten, lagen in solchen Bergen, dass sich nicht mehr darüber hinwegsteigen ließ und so mancher noch am Morgen zum Ritter Geschlagene unter einem Leichenhaufen im Blut ertrank.
Aber so hart das Eingeständnis einen, der in England aufgewachsen ist, auch ankommen mag, die Mär, die der wackre Mann seinem Sohn hinsichtlich der Schlacht von Azincourt wirklich lehren sollte, dreht sich um ein ganz anderes Häuflein Brüder, das sich nicht im unaufhörlichen französischen Nieseln, sondern unter der grimmigen Sonne des Mittelmeers schlug. Im Sommer 1415 war in Lissabon eine kleine Flotte in See gestochen, hatte die Meerenge nach Marokko überquert und die Stadt Ceuta gestürmt. Die Schlacht war noch ungleicher als die von Azincourt (es fielen dabei 8000 Afrikaner und nur acht Portugiesen), aber das war es nicht, was sie so besonders machte. Die besondere Bedeutung von Ceuta lag – wie man erst viel später erkannte – darin, dass Europa zum ersten Mal seit dem Römischen Reich den produktiven Krieg wieder über den Kontinent hinaustrug.
Europäische Krieger hatten die Meere bereits überquert, die Wikinger waren nach Amerika gefahren, die Kreuzritter ins Heilige Land, aber sie hatten ihren Herren zu entkommen versucht, um sich ein eigenes kleines Reich zu schaffen, unabhängig vom größeren Leviathan. Im Fall von Ceuta dagegen dehnte der portugiesische König Johann I. Lissabons Herrschaftnach Afrika aus. Es war ein kleiner Anfang, aber während der nächsten 500 Jahre sollten die Europäer den Teufelskreis von produktiven und unproduktiven Kriegen sprengen, indem sie sich drei Viertel des Planeten unterwarfen. Die Europäer waren damit auf dem besten Wege, besagtes beglücktes Häuflein zu werden – the Happy Few .
Kapitel 4
Der Fünfhundertjährige Krieg
Europa erobert (beinah) die Welt, 1415 bis 1914
Die Männer, die Könige sein wollten
An einem Abend in den 1880er Jahren – »eine pechschwarze Samstagnacht, so erstickend heiß, wie eben nur eine Juninacht sein kann«, sagt der Erzähler – kamen zwei Engländer, Daniel Dravot und Peachey Carnehan, in eine Zeitungsredaktion in Nordindien. »Je weniger wir über unseren Beruf sprechen, um so besser is es«, erklärten sie. 1 An diesem Abend ging es nur darum,
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