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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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die Metallarbeiter der Moche-Kultur Objekte herzustellen wie die schönen Goldornamente, die man dem so genannten Señor de Sipán *26 als Grabbeigaben mitgegeben hatte. Zu keinem Zeitpunkt jedoch dachten die amerikanischenUreinwohner daran, Kupfer mit anderen Metallen zu mischen, um daraus Bronzewaffen herzustellen – und falls ein unternehmungslustiger Schmied darauf gekommen sein sollte, so schlug die Legierung jedenfalls nicht ein.
    Die amerikanische Erfahrung mit Pfeil und Bogen ist gar noch merkwürdiger. Ich habe in Kapitel 2 erwähnt, dass in Afrika Pfeilspitzen auf 60   000 Jahre zurückgehen; die Menschen jedoch, die vor 15   000 Jahren über die Landbrücke von Sibirien nach Amerika kamen, brachten keinen Bogen mit, und man hat ihn dort auch nicht neu erfunden. Die ersten Pfeilspitzen Amerikas, die man an den Ufern des Yukon in Alaska fand, stammen aus der Zeit um 2300 v.   Chr. Sie sind in einem Stil gefertigt, den Archäologen als »Arctic Small Tool«-Tradition bezeichnen und der erst durch eine neue Immigrationswelle aus Sibirien importiert wurde. Pfeil und Bogen breiteten sich furchtbar langsam über Nordamerika aus, und es dauerte 3   500 Jahre, bis sie nach Mexiko kamen. Als Cortés dort eintraf, benutzten die Mesoamerikaner den Bogen seit gerade mal 400 Jahren, und die Primitivbögen der Azteken hätten für einen ägyptischen Pharao geradezu lachhaft altmodisch ausgesehen.
    Das hört sich nach einem klaren Beweis dafür an, dass kulturelle Unterschiede alles entschieden, nach einem Beweis dafür, dass – je nach den Präferenzen des Betrachters – die Eurasier rationaler (und deshalb, vielleicht, besser) waren als die amerikanischen Ureinwohner oder, andersrum, gewalttätiger (und deshalb, vielleicht, schlimmer). Aber solche Argumente haben ihre Probleme. Mesoamerikaner entwickelten ausgefeilte Problemlösungskompetenzen – solche, die nötig waren, um bemerkenswerte Kalender herzustellen und Hügeläcker sowie Bewässerungssysteme zu bauen. Diese Menschen als irrational zu bezeichnen – oder auch nur als weniger rational als die Europäer – ist nicht sehr überzeugend.
    Dasselbe gilt für die Theorie, dass die Kulturen amerikanischer Ureinwohner weniger gewalttätig gewesen seien als die europäischen. Viele Jahre behandelten Archäologen die alten Maya als Aushängeschilder für den friedfertigen Menschen. Nur weil man keine Befestigungsanlagen um ihre Städte gefunden hat, schloss man daraus, sie müssten ihre Zwistigkeiten gewaltlos geregelt haben. Diese Theorie brach fast im selben Augenblick zusammen, als man das Schriftgut der Maya zu entziffern begann. Ihr Hauptthema war der Krieg. Mayakönige fochten nicht weniger als europäische.
    Einige Historiker verweisen statt dessen auf die Blumenkriege, wie die Azteken das nannten, Feldzüge, die darauf ausgerichtet gewesen seien, dieZahl der Gefallenen auf beiden Seiten so gering wie möglich zu halten. Dies, so ihre Argumentation, zeige, dass amerikanische Ureinwohner den Kampf als eine Art Performance sahen im Gegensatz zu den Europäern, die auf die alles entscheidende Schlacht fixiert waren. Hier liegt jedoch ein Missverständnis vor: Blumenkriege glichen eher begrenzten als rituellen Kriegen. Ein Blumenkrieg war eine billige Methode, dem Feind zu zeigen, dass jeder Widerstand zwecklos sei. »Wenn das nicht gelang«, so erklärt ein führender Experte für aztekische Kriegführung, »eskalierte man den Blumenkrieg …, ging von Demonstrationen seiner Tüchtigkeit über in einen Zermürbungskrieg.« 33 Die Azteken versuchten ebenso wie die Europäer, ihre Kriege billig zu gewinnen; aber wenn das nicht funktionierte, unternahmen sie, was immer nötig war.
    Aber warum entwickelten sich denn nun die Militärs der Neuen und Alten Welt auf derart unterschiedliche Art? Offen gesagt, wir wissen es nicht genau, da die Geschichtswissenschaft bislang nur einen bemerkenswert geringen Aufwand für derlei große komparative Fragen aufgebracht hat. Die dem gegenwärtigen Stand der Debatte nach zwingendste Erklärung ist womöglich eine täuschend einfache Idee, die der zur Geografie übergewechselte Biologe Jared Diamond in seinem Buch Arm und Reich vorschlägt.
    Die Amerikas, so führt Diamond aus, erstrecken sich im Wesentlichen in Nord-Süd-Richtung auf dem Globus, während Eurasien sich in Ost-West-Richtung zieht (Abbildung 3.13). In Eurasien konnte die Bevölkerung sich entlang der Glücklichen Breiten ungehindert hin und her bewegen und

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