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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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schnellsten wachsenden Stadt Chinas, zu finden. Um 1150 dekorierten Gläubige die Wände des Grottenheiligtums mit in den Fels gehauenen Figuren. Die recht konventionellen Motive zeigen Reihen von Dämonen auf Wolkenbänken, und einigen gab der Bildhauer Waffen in die Hand, wie es damals üblich war. Ein Dämon trägt einen Bogen, ein anderer eine Streitaxt, einer eine Hellebarde, und vier haben Schwerter. Aber eine Figur – unten rechts in Abbildung 4.2 – hält etwas, was nach einer primitiven Kanone aussieht und neben Rauch und Flammen auch eine kleine Kanonenkugel ausspeit.
    Dieses Relief ist umstritten. Manche Historiker sehen es als Beleg, dass chinesische Armeen im 12. Jahrhundert Feuerwaffen benutzten. Nach Ansicht anderer zeigt es, dass Feuerwaffen zwar existierten, aber so selten waren, dass der Bildhauer noch nie eine gesehen hatte (sie weisen darauf hin, dass man sich die Hände verbrennen würde, wenn man eine Metallkanone so hielte, wie der Dämon es tut). Wieder andere meinen, der untere rechte Dämon halte ein Musikinstrument, und Feuerwaffen seien damals noch gar nicht erfunden gewesen. Ganz gleich, wie dieser Disput entschieden wird, es kann niemand bestreiten, dass etwa hundert Jahre später Feuerwaffen in Gebrauch waren, denn Archäologen fanden ein einfaches, gut dreißig Zentimeter langes Bronzerohr, das nicht später als 1288 auf einem Schlachtfeld in der Mandschurei liegen blieb (Abbildung 4.3).
    Die Feuerwaffe von 1288 dürfte unberechenbar, langwierig zu laden und alles andere als treffsicher gewesen sein, aber schon bald kamen größere, bessere Versionen in Gebrauch. Besonders verbreitet waren sie in Südchina, wo in den 1330er Jahren in einem Großteil des Jangtse-Tales eine offene Rebellion gegen die Mongolenherrscher tobte. Die Innovationen überschlugen sich, und innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten lernten die Rebellen, das Beste aus den neumodischen Waffen zu machen. Ihr erster Trick war,sie in großer Zahl einzusetzen (um 1350 stellte der Rebellenstaat Wu Hunderte gusseiserner Kanonen her, von denen zahlreiche erhalten sind); der zweite bestand in einer Kombination verschiedener Waffen. Am Vorabend der Entscheidungsschlacht gegen die Mongolen am Poyang-See 1363 legte der Rebellenführer Zhu Yuanzhang seinen Hauptleuten die richtigen Methoden dar: »Wenn ihr euch den feindlichen Schiffen nähert, feuert zuerst die Feuerwaffen ab, dann schießt mit Bogen und Armbrust, und wenn ihr die Schiffe erreicht, greift sie mit den Nahkampfwaffen an.« 2 Zhus Männer taten, was er ihnen befohlen hatte, und fünf Jahre später begründete er die Ming-Dynastie.
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    Abbildung 4.2Die Mutter aller Feuerwaffen?
    Ein buddhistisches Relief aus den Dazu-Grotten in Sichuan, um 1150. Von den 19 abgebildeten Dämonen tragen sieben Klingenwaffen, aber einer – unten rechts – benutzt anscheinend eine primitive Feuerwaffe.

    Menschen, die neuen Waffen ausgesetzt sind, kopieren sie in der Regel, und Feuerwaffen bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Bereits 1356 besaßen Koreaner in ihren Festungen Feuerwaffen. Es dauerte weitere hundert Jahre, bis sie am Himalaja entlang nach Indien vordrangen, aber bei der Belagerung von Mandalgarh 1456 kamen eindeutig Feuerwaffen zum Einsatz. In Birma und Siam wurden um 1500 Bronzekanonen gegossen, und mit einer gewissen Verzögerung (vielleicht durch koreanische Bestrebungen, sie ihnen vorzuenthalten) griffen auch Japaner 1542 Feuerwaffen auf.
    Das Erstaunlichste ist jedoch der rasante Erfolg der Feuerwaffen im fernen Europa. Bereits 1326 – weniger als vierzig Jahre nach dem ersten nachweislichen Exemplar einer chinesischen Feuerwaffe und dreißig Jahre vor dem ersten nachweislichen koreanischen Exemplar – erhielten zweioffizielle Vertreter des Stadtstaates Florenz den Auftrag, Feuerwaffen und Munition zu besorgen (Abbildung 4.4). Ein Jahr später malte ein Illustrator in Oxford in einem Manuskript ein Bild einer kleinen Kanone. Keine Erfindung hatte sich jemals so schnell ausgebreitet.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 4.3Der Beginn von etwas Großem
    Die älteste erhaltene echte Feuerwaffe blieb 1288 auf einem mandschurischen Schlachtfeld liegen.

    Entscheidend für diese rasante Verbreitung war die Angebotsseite. Nach ihren brutalen Eroberungszügen des 13. Jahrhunderts sorgten die Mongolenkhans in den Steppengebieten für eine Art Pax Mongolica , und diesen Frieden nutzten Händler, um Waren von einem Ende Eurasiens ans andere zu

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