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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Heerscharen, die ihnen zahlenmäßig um das Zehnfache überlegen waren (und das sogar, wenn die Inder gepanzerte Elefanten einsetzten). Die Europäer waren eine »Feuer und Flammen speiende Wand«, wie ein Überlebender einer Schlacht schilderte. 40
    In den Karnatischen Kriegen stand für die Ostindienkompanien einiges auf dem Spiel: Der Sieger der britisch-französischen Kämpfe würde über die ganze Karnatik verfügen, nicht nur über ihren Küstenhandel. Als die Kriegshandlungen sich in die Länge zogen, zeigte sich aber auch, dass sie den Kompanien enorme Kosten abverlangten. Beide hatten in Indien Posten bezogen, um Geld zu verdienen, daher verlangte die kaufmännische Logik Verhandlungen, um den Krieg zu beenden. Die französische Ostindienkompanie begann 1754 nach einer Ausstiegsstrategie zu suchen, die britische nicht.
    Hundertfünfzig Jahre lang hatten europäische Großmächte um Handel und Kolonien gekämpft, um damit Geld zu verdienen, mit dem sie ihre Kriege in der Heimat finanzieren konnten. Großbritannien war das besser gelungen als allen anderen, es war mittlerweile »die beachtlichste aller Nationen der Welt [aufgrund] des Umfangs und der Ausdehnung unseres Handels«, wie ein Schriftsteller 1718 feststellte. 41 Nun fragten sich manche Briten: Falls das wirklich stimmte, stellte das dann nicht die herkömmliche Weisheit auf den Kopf? Statt den Handel in Indien als Mittel zu dem Zweck anzusehen, in Europa Kriege zu gewinnen, sollte man Kriege in Europa vielleicht eher als Mittel und die Ausweitung des Indienhandels als Zweck betrachten.
    Zu einem echten strategischen Umdenken kommt es im Regelfall nur alle einhundert bis zweihundert Jahre, aber in London zeichnete sich soebenein solcher Umbruch ab. Unter heftigen Debatten drängte eine lockere Allianz, getragen von kommerziellen Interessen, Großbritannien schubweise in ein neues Geschäftsmodell, in dem Kämpfe in Europa nur noch als Mittel dienten, Frankreich abzulenken, damit die Briten französische Kolonien und Handelsbeziehungen ungestört an sich reißen konnten.
    Die britische Regierung lieh Frankreichs anderen Feinden in Europa Geld und Leute, während die Britische Ostindienkompanie den Konflikt in der Karnatik durchstand und den von ihr ausgewählten Nawab auf den Thron brachte. Anschließend presste sie ihm beträchtliche Schmiergeldzahlungen ab, kassierte seine Steuereinnahmen und überschwemmte seine Wirtschaft mit ihren Agenten. Es kam Geld herein, und als 1756 in Bengalen – dem reichsten Teil Indiens – ein neuer, profranzösischer Nawab Schwierigkeiten machte, bereitete sich die Kompanie darauf vor, erneut ihre Karnatikstrategie anzuwenden.
    Aber der Nawab schlug zuerst zu. Er überfiel den Stützpunkt der Britischen Ostindienkompanie in Kalkutta und sperrte in der pechschwarzen, stickigen Nacht vom 20. auf den 21. Juni hundert Gefangene in eine Zelle, die für acht gemacht war. Bis zum Morgengrauen war die Hälfte erstickt oder an Herzversagen gestorben. Daraufhin schickte die Ostindienkompanie Robert Clive – einen unsympathischen, aber unbestreitbar wagemutigen Helden der Karnatischen Kriege – aus, um das schwarze Loch von Kalkutta zu rächen.
    Clive vertrieb nicht nur den Nawab aus Kalkutta, sondern schloss sich auch einem bengalischen Aufstand gegen ihn an. Gestützt auf die Truppe der Ostindienkompanie und die Rebellen nahm er es mit einer zahlenmäßig zwanzigmal stärkeren Armee auf. Die Schlacht bei Plassey hatte etwas von einer Farce. Versehentlich jagten die Schützen des Nawab ihre eigene Artillerie in die Luft, was die Elefanten, die die Kanonen zogen, in Panik versetzte. Die restlichen Truppen des Nawab liefen davon, als sein wichtigster Verbündeter – den die Kompanie als nächsten Nawab ausersehen hatte – die Seiten wechselte. Nun übernahm die Ostindienkompanie das Eintreiben der Steuern in Bengalen, und Clive steckte sich aus der Staatskasse eine Belohnung von 160   000 Pfund ein (heute umgerechnet etwa 400 Millionen Dollar). 42
    Bengalen war erst der Anfang. In den folgenden beiden Jahren bemühte sich Großbritannien gemeinsam mit seinen Verbündeten, Frankreichs Kräfte in Deutschland zu binden, während die Briten die wichtigsten Karibikinseln und ganz Kanada an sich rissen. Eine britische Armee besiegte die französische erneut in Indien, und die Royal Navy schlug die französische Flotte nicht nur einmal, sondern zweimal vernichtend. Selten war eine Strategie so erfolgreich. »Hätte man damals, als

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