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Krieger der Stille

Krieger der Stille

Titel: Krieger der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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oder die Fanatiker  – diese Leute, aus deren Mund nur Hass strömt – zu Hütern der Wahrheit aufschwangen und dass die Herzen der anderen genügend ausgetrocknet waren, um ihre Worte wie frisches Wasser zu trinken … Aber ich bin nur ein müder Greis und nicht im Besitz der Wahrheit und will nicht urteilen …
    Nun ergriff jeder Partei. Jedes menschliche Wesen, jedes Dorf, jede Stadt war für die eine oder die andere Seite. Die einen behaupteten, der Schöpfer habe die anderen aus seinem himmlischen Herzen verbannt. Die anderen hielten dagegen, sie sollten lieber ihren Mund halten, denn sie hätten die Unterstützung des Geistes der Materie verloren. Sie fingen an, die Namen in Blockschrift zu buchstabieren, und wenn man das tut, ist man bereit, aus prinzipiellen Gründen zu töten.
    Verbale Auseinandersetzungen entarteten zu Gedankenkonflikten …

    Auf diese Weise begann der entsetzliche Krieg der Gedanken; er dauerte Jahrhunderte. Dies ist die Wahrheit: Sie brachten sich mittels schrecklicher Todesgedanken gegenseitig um. Die Zivilisation des Bergvolks, auch als Zivilisation des aufgeklärten Menschen bezeichnet, brach in sich zusammen wie die Zivilisation des Atoms, die des weisen Menschen, wie sie genannt wurde. Die Bäume brachten keine Früchte mehr hervor, die Wasserläufe versiegten, die Kristallstädte wurden von Erdbeben erschüttert, mächtige Flutwellen überschwemmten die Kontinente. Und die Steine, deretwegen sie in Streit geraten waren, aber auch alle anderen wurden zu Gefangenen der Schwerkraft und blieben es.
    Lange, lange später überlegten die Flüchtlinge eines Lagers der einen oder der anderen Seite des großen Kriegs der Gedanken. Sie kamen zu der Erkenntnis, dass sie nicht mehr wussten, warum sie sich gegenseitig bekämpften. Die Zeit hatte im Laufe vieler Generationen ihre Erinnerungen daran ausgelöscht.
    Also taten sie das Einzige, was ihnen zu tun übrig blieb: Sie schlossen Frieden. In einen Felsen eingraviert entdeckten sie prophetische Verse, die von der einstigen Zivilisation kündeten, der Zivilisation des aufgeklärten Menschen. Sie riefen den Geist der Materie an, doch der weigerte sich, sie anzuhören. Sie flehten die Steine an zu fliegen, doch die Steine rührten sich nicht. Sie flehten die Bäume um Früchte an, doch keine Knospe entspross ihren toten Ästen. Sie mussten das Fleisch ihrer Toten essen. Sie verzweifelten und klagten. Noch weit, weit entfernt, auf den schneebedeckten Bergkuppen, in den Wolken und im Himmel konnte man ihr verzweifeltes Wehklagen hören.
    Doch der Geist der Materie hatte Mitleid mit ihnen. Er nahm die Gestalt eines Bergriesen an, ging zu ihnen und sprach mit lauter klarer Stimme:
    »Menschen, mein Vater, der Schöpfer, schickt mich, damit ich euch Folgendes sage: Ihr habt die fliegenden Steine zutiefst gekränkt. Sie begeben sich jetzt in ein anderes, weit von hier entferntes Land. Dort könnt ihr sie wiederfinden, wenn ihr es ernsthaft wünscht. Habt ihr sie gefunden, bleibt bei ihnen und bittet sie um Verzeihung. Sollte es einem Einzigen unter euch gelingen, kraft seiner Unschuld auch nur einen Stein zum Fliegen zu bringen, wird mein Schöpfervater euch wieder anhören, und ihr werdet wieder in glücklichen Zeiten leben …«

    Nach dieser Rede kehrte er in sein Wolken- und Windhaus zurück. Und so wie er gesagt hatte, erhoben sich die fliegenden Steine in die Lüfte und flogen gemeinsam der aufgehenden Sonne entgegen. Der ganze Himmel war von ihnen bedeckt, sodass am helllichten Tag dunkle Nacht war.
    Die Menschen machten sich auf die Suche nach den Steinen. Sie verließen ihr Land, gingen der aufgehenden Sonne entgegen und wurden zu Nomaden. Zwei Jahrhunderte marschierten sie ohne Unterlass, ohne Rast. Sie hielten nur inne, um ihre Toten zu bestatten. Keiner der sogenannten Priester oder Propheten führte sie an. Doch sie wurden mutlos und verfluchten den Riesen der Berge und seinen Vater, den Schöpfer. Und sie beschlossen, dort zu siedeln, wo sie sich gerade befanden, in einer grünen und fruchtbaren Ebene. Sie pflügten, säten Korn und gründeten eine Stadt.
    Einzig ein junger Mann setzte seinen Weg fort. Er hieß Amphane, und sein Herz war rein. Der Geist der Materie erschien ihm in Gestalt eines Vogels mit goldenem Gefieder, und der Vogel führte ihn zum heiligen Feld in der Nähe des Hymlyas-Gebirges. Von dort waren sie vor zwei Jahrhunderten aufgebrochen. Und Amphane begriff, dass ihr Umherwandern umsonst gewesen war, weil das

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