Krieger der Stille
allein zu dem Zweck, die Menschen zu unterdrücken, indem sie sie in Unwissenheit ließen und Angst verbreiteten. Sie können nur eins: das Leben unterdrücken! Sie können weder mit der Materie sprechen, noch können sie die Steine zum Fliegen bringen …«
Der Narr der Berge schwieg eine Weile und lauschte dem fernen Donnergrollen. Shari aber gab seinem dringenden Bedürfnis zu schlafen nicht nach. Er hielt die Augen offen, wenn auch nur mühsam.
»Bertelin Naflin und seine Getreuen verbreiteten die Inddikische Wissenschaft im Universum. Die Überlebenden des Kriegs der Gedanken gründeten nun eine Zivilisation, die jeden Konflikt von vornherein ausschloss. Sie gründeten eine Konföderation, die unter dem Begriff Naflin-System bekannt ist und auf einem Gleichgewicht der Kräfte unter der wachsamen Kontrolle eines Ordens der Stille
beruht. Dieses System garantierte einen universellen Frieden, jedoch keinen individuellen. Aber es war letztendlich nicht vollkommen, denn es ist zusammengebrochen, wie alle anderen Ordnungen vor ihm …
Erinnerst du dich an diese Ethnologen aus einer fernen Welt, die mittels effizienter Reisemaschinen zu uns kamen? Diese seltsamen Wesen mit grünen Gesichtern, pupillenlosen gelben Augen und außerordentlichen mentalen Fähigkeiten? Die Amphanen haben ihnen gestattet, den Todesgesängen und den Zeremonien zur Tagundnachtgleiche beizuwohnen … Sie kamen hierher, um sich das Wissen anzueignen, was ihnen fehlte, um die Konföderation und das Naflin-System zu stürzen: den Klang, den Ton.
Als sie in ihre Welt zurückkehrten, gelang es ihnen, ihre Kenntnisse über den Ton zu perfektionieren. Im Augenblick kann niemand es mit ihnen aufnehmen, nicht einmal der Orden der Stille.
Und heute Nacht kehren sie auf den Planeten Terra Mater, die Erde, zurück. Sie kommen, schreckliche, in graue Uniformen gekleidete Gestalten mit weißen Masken, um die letzten Ameurynen auszulöschen. Um auf diesem Planeten auch die letzten Spuren der Inddikischen Wissenschaft zu tilgen. Doch das ist nur der Anfang. Denn ihr eigentliches Ziel ist das Auslöschen aller Menschenrassen.
Warum sie das tun? Ich weiß es nicht … Doch deshalb hat deine Mutter dir das Leben gerettet, Shari Rampouline! Sie opferte sich, damit du aus Exod fliehen konntest. Hier können sie dich nicht aufspüren, hier bist du außer Reichweite ihrer Waffen und ihrer Gedanken. Morgen, bei Tagesanbruch wird nichts mehr von dem Vulkan übrig sein, nichts mehr von der ameurynischen Zivilisation,
nichts mehr von der alten Erde … Ein langes Kapitel der Geschichte wird geschlossen … Und vielleicht wirst du es sein, Shari, Sohn der Naïona, der ein neues, schönes Kapitel schreiben wird. Wenn du es denn willst. Und mit den Sternen, die sich dir vielleicht anschließen. Wenn sie es denn wollen …
Das Universum bereitet sich auf einen sehr langen Winter vor. Die Menschen haben die Materie missbraucht, und das Leben zieht sich unter die Erde zurück, damit es Kräfte sammeln und sich regenerieren kann. Von nun an wird ein schrecklicher Kampf zwischen den Menschengeschlechtern der Gestirne und jenen Kreaturen aus dem Grenzbereich entbrennen, die die Herrschaft über das All anstreben …
Du wirst vielleicht zu einem der neuen Götter der Menschheit aufsteigen … wenn du es denn willst …«
Der Knabe hörte nicht mehr zu. Er war eingeschlafen. Mehrmals hätte er den Narren der Berge fast unterbrochen, ihm Fragen gestellt, woher er das alles wisse, und ob seine Erzählung nichts anderes als eine Legende sei. Doch ihm hatte der Mut gefehlt. Und schließlich hatten Kummer und Erschöpfung ihn überwältigt, und die dunkle, melodiöse Stimme des Erzählers in der angenehmen Wärme unter den Decken hatte ihn in den Schlaf gewiegt.
Der Narr der Berge betrachtete lächelnd den Knaben. Er hatte mehr zu sich selbst als zu dem Kind gesprochen. Endlich schien der lange ersehnte Moment gekommen zu sein, für den er sich in jahrelanger Abgeschiedenheit im Gebirge vorbereitet und mit Felsen, Bäumen, Tieren und den Wassern gesprochen hatte. Direkt konnte er keinen Einfluss nehmen. Er konnte nur als Katalysator wirken,
gleich einer flüchtigen Brücke, er, der Unsterbliche zwischen zwei Welten. Seine Rolle bestand nur darin, die Menschheit auf den Weg der Erneuerung zu führen.
Er wusste nicht, wie lange er schon auf Terra Mater lebte. Jahre, Jahrhunderte, eine Ewigkeit … war das wichtig? Er verfügte über eine schier endlose Geduld, und
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