Krieger der Stille
– sich an dem von den Smellas vorgegebenen strengen Ehrenkodex hielten und ihre Aktivitäten nur auf den Planeten Syracusa und dessen Kolonial-Planeten beschränkten. Denn das strikte Befolgen dieser Regel war ihm stets als gegeben erschienen. Doch plötzlich hatte er auf diesem von dunklen Schatten umgebenen Balkon ein unheimliches Gefühl, so, als würden sich unsichtbare Tentakel unter seiner Schädeldecke in sein Gehirn vortasten.
Es drängte ihn, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Noch in dieser Nacht hoffte er, Antworten auf Fragen zu finden, die ihn quälten und ihm den Schlaf raubten. Und deshalb musste er um jeden Preis allein mit seinem alten Freund, dem Syracuser Sri Alexu, sprechen. Als Erstes musste er eine Möglichkeit finden, den von den konföderierten Sicherheitskräften streng bewachten Palast Ferkti Ang ungesehen zu verlassen.
»Und der Mann da!«, rief List, aufs Neue begeistert und voll unbändiger Neugier. »Wisst Ihr, was er repräsentiert?«
»Ihr meint den Mann mit dem purpurfarbenen Chorhemd über dem safranfarbenen Colancor? Er trägt das Priestergewand der Missionare der Kirche des Kreuzes.«
»Ach ja! Hier wird der Religion viel Bedeutung beigemessen«, murmelte der junge Mann enttäuscht.
»Wie ich höre, habt Ihr nicht alles aus Eurem Unterricht vergessen. Der Kreuzianismus ist tatsächlich die … die offizielle Religion auf Syracusa.«
»Ihr scheint sie nicht besonders zu schätzen«, bemerkte List, dem der verächtliche Ton seines Onkels nicht entgangen war.
»Der Terminus ›offiziell‹ ist eigentlich nicht zutreffend. Es müsste vielmehr ›obligatorisch‹ heißen. Denn ich bin der Überzeugung, dass jedes Wesen das Recht hat, frei seinen Glauben zu wählen. Aber kommt … wir wollen im Park spazieren gehen. Es wäre schade, sich diesen herrlichen Anblick entgehen zu lassen.«
Doch List beugte sich noch immer über den Balkon. Er war derart fasziniert von dem Geschehen dort unten, dass er den Blick nicht abwenden konnte. Der Regent hingegen betrat seine luxuriöse Suite und setzte sich an den Tisch aus parfümiertem Holz, der ihm als Schreibtisch diente. Er drückte auf ein kleines schwarzes Kästchen, das einen kurzen Moment von einer blauen Aureole umgeben war: ein zellularer Transmitter, der mit den Okular-Rezeptoren seiner Dayts in Verbindung stand.
Nur widerwillig folgte List seinem Onkel in den großen Salon. Er betrachtete den alternden Mann. Seit dem Tod seines ältesten Bruders, Abasky Wortling, dem einhundertsiebenundzwanzigsten Seigneur der Dynastie Wort-Mahort, führte er die Regierungsgeschäfte, weil List noch zu jung war, und er hatte sich als äußerst fähiger, ja gerissener Regent erwiesen, der geschickt die territorialen und kommerziellen Ansprüche seines Planeten anderen Staaten gegenüber vertreten hatte. Deshalb wurde er allgemein geachtet, und es gab viele Herrscher, die ihn um Rat angingen.
List musterte amüsiert und gleichzeitig beschämt über sich die unmodische Kleidung seines Onkels. Welchen Kontrast sie doch zu den glänzenden und schillernden Stoffen der Einheimischen bildete! Er brannte vor Verlangen, zum ersten Mal am Hof von Ranti Ang zu erscheinen, weil er mit eigenen Augen all den Luxus sehen wollte, den
ihm die wenigen Notabeln des Marquisats, die bisher das Privileg genossen hatten, dort erscheinen zu dürfen, geschildert hatten. Für ihn bedeutete eine solche Einladung nicht nur das Betreten des Allerheiligsten – den Tempel der Anmut und der Eleganz selbst –, er könnte bei seiner Rückkehr auch vor seinen Freunden groß damit prahlen. Aber je mehr Zeit verging, umso ferner schien dieser ersehnte Augenblick. Denn er musste seine Ungeduld noch bis zum Ende der Asma zähmen, und unzählige langweilige Reden über sich ergehen lassen, die so nervtötende Themen wie Währungsparitäten, Handelsbilanzen, ethische Gesichtspunkte hinsichtlich dem Status der Nichtmenschen und der Forschung mit ihnen, kurzum die ganz gewöhnliche Agenda einer Asma behandelten.
Und trotz des Respekts und der aufrichtigen Zuneigung, die List seinem Onkel entgegenbrachte, hielt er ihn für ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Zwar war der Regent zu einem der einflussreichsten Männer der Konföderation aufgestiegen, doch seine lange braune Kutte aus Wolle, sein wirres graues Haar, das ihm in üppigen Locken bis auf die gekrümmten Schultern fiel, und seine hohen, abgetragenen Lederstiefel ließen kaum auf einen Mann seines Rangs
Weitere Kostenlose Bücher