Krieger der Stille
vor der feuchten nächtlichen Kälte zu schützen.
Seine Nacht war voller Albträume. Es schien, als hätten alle Schattenwesen seiner Seele ihre Schlupfwinkel auf einmal verlassen, weil das Licht der Erleuchtung sie gestreift hatte.
Nachdem er Aphykit ihre Portion Algen gebracht hatte, suchte er in aller Eile – er vergaß sogar seinen Freunden, den Monagern, einen Guten Morgen zu wünschen – nach einem abgelegenen Ort, um sich in das Antra zu versenken. In der kleinen Bucht erreichte er sofort das Zentrum der Stille, gelangte von dort aus wieder in den Deremat-Raum auf Zwei-Jahreszeiten und fand sich plötzlich inmitten der Riesensäuger am Strand wieder, die sein Erscheinen mit lauten Gesängen begrüßten. Er winkte ihnen zu, schloss die Augen und erreichte nochmals das Zentrum der Stille. Dann beschritt er den zum Deremat führenden Pfad, verschmolz mit ihm und trat eine neue Reise an.
Tixu hatte erwartet, in der kleinen, nebelverhangenen Bucht aufzuwachen, stattdessen hatte er sich in eine der gewundenen, steilen Gassen Houhattes transferiert. Er erkannte sie sofort an ihren weißen Häusern mit den roten Dächern und schmiedeeisernen Balkonen wieder.
Er saß völlig nackt auf dem Kopfsteinpflaster. Zum Glück war die Straße menschenleer. Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, stand er auf und stellte
sich an die Wand eines niedrigen Hauses. In dem kleinen, von einer Mauer umgebenen Innenhof trocknete Wäsche auf der Leine. Vorsichtig schlich er näher, denn er fürchtete, jede Sekunde von den Bewohnern überrascht zu werden. Er zog einen ihm ungefähr passenden blauen Fischeranzug an, der noch etwas feucht war. Dann ging er durch die Stadt, die wie ausgestorben dalag. Bald hatte er den Hafen erreicht.
Dort hatten sich alle Selpdiker versammelt. Auf einem Podium vor der Mole standen vier Pritiv-Mörder, zwei Scaythen in schwarzen Kapuzenmänteln und ein Kardinal der Kirche des Kreuzes. Der Geistliche, ein kleiner, magerer Mann in rotem Colancor und violettem Chorhemd hielt eine Ansprache. Beim Näherkommen sah Tixu, dass zwischen den Pritiv-Söldnern ein an Händen und Füßen gefesselter Mann stand: Kwen Daël.
Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Da stand sein Freund im roten Overall mit gelben Stiefeln, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen und am ganzen Leibe zitternd. Rechts und links von dem Podium verbrannten die Körper zweier Priester der Magie an den Feuerkreuzen.
Also hatten sie Kwen Daël gefangen genommen. Der Fischer musste trotz seines Versprechens Kurs auf seinen Heimathafen genommen haben. Und da er sich gegen die mentale Inquisition der Scaythen nicht wehren konnte, mussten sie jetzt wissen, dass sich die Fliehenden auf der Insel der Monager befanden. Also waren sie in großer Gefahr.
Tixu stellte diskret Nachforschungen in den Köpfen der Selpdiker an. Sie wirkten niedergeschlagen, resigniert. Nichts war von ihrer unbändigen Lebenslust übrig geblieben, seit sie Zeugen grausamer Massaker geworden waren
und vor allem, seit der Stolz ihres Planeten, der Orden der Absolution besiegt worden war.
Obwohl Tixu barfuß lief, achtete niemand auf ihn, als er sich unter die Leute mischte. Der Kardinal hatte seine Rede beendet, und Tixu suchte verzweifelt nach einem Mittel, seinem Freund helfen zu können. Im Augenblick gab es keins, denn sollte er die Aufmerksamkeit der Scaythen erregen, würden die Pritiv-Mörder ihn sofort mit ihren rotierenden Scheiben töten.
Ein dritter Scaythe näherte sich jetzt dem Gefangenen. Kwen Daël wollte sich von seinen magnetischen Fesseln befreien, aber der Scaythe stieß einen gutturalen Schrei aus, worauf sich die Fesseln noch enger um seine Glieder und seinen Hals legten. Der Fischer wurde aschfahl und atmete nur noch keuchend.
»Was wollen die mit dem Mann machen, Papa?«, fragte ein Kind.
»Sie werden ihn mit ihren Gedanken töten«, antwortete der Vater.
»Warum? Was hat er denn getan?«
»Sei still. Das geht uns nichts an.«
Tixu durfte nicht zulassen, dass sein Lebensretter in seiner Gegenwart ermordet wurde. Er rief das Antra zu Hilfe. Als sich der Klang des Lebens vibrierend entfaltete, bat er ihn, einen Schutzwall um Kwen Daëls Geist zu errichten. Sofort verließ das Antra Tixu – und er war schutzlos. Eine gefährliche Situation, denn einer mentalen Inquisition war er nun hilflos ausgeliefert.
Etwas Seltsames geschah jetzt auf dem Podium: Zuerst hatte Kwen Daël seine Hände gegen die Schläfen gepresst, wie um einen
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