Krieger der Stille
Schimmer überzogen sind: antike Papierbücher, mit zusammengeklebten, unlesbaren Seiten; Holovideos, die bereits über eine Schutzschicht verfügen.
In einer Ecke entdeckt Long-Shu Pae ein holografisches Lesegerät, das noch aus der pränaflinischen Zeit stammt. Er untersucht es genau: Das Meersalz hat die elektronischen Chips zerfressen, und das Prisma für die dreidimensionale Projektion ist zerkratzt. Er sieht sich weiter um, und sein Blick fällt auf einen Wandschrank aus Dural. Den Code hat er schnell entziffert, die Türen gleiten zur Seite. In den Fächern liegen noch mehr Filme, codierte Schlüssel, und – brauchbare Ersatzchips. Im Licht der Laserlampe repariert er das Lesegerät. Dann stellt er es auf einen Felsvorsprung und legt mit vor Aufregung zitternden Händen einen Film ein. Das Gerät summt, rauscht, leuchtet auf; dann geschieht ein Wunder: Dreidimensionale, leicht verzerrte, jedoch vertonte Bilder erscheinen auf der gegenüberliegenden Wand: die im Zeitraffer gefilmte Errichtung des Klosters Selp Dik.
Long-Shu Pae sieht zuerst, wie riesige Flächen für die Fundamente ausgehoben werden; dann mächtige, zubehauene Steinquader, die einfach aus dem Boden auftauchen und übereinander getürmt werden, sodass sie Mauern, Schutzwälle und Brüstungen bilden; Pechnasen an den Brüstungen, Schießscharten. Er sieht, wie Zisternen
gegraben werden, das Entstehen der Innenhöfe, das Emporwachsen der Bergfriede und wie die einzelnen Gebäudekomplexe mit unterirdischen Gängen und Treppen verbunden wurden.
Arbeiter gibt es keine: Unsichtbare, vorprogrammierte Kräfte auf Wellenbasis bauen das alles. Dann ist das Werk vollendet. Ein einziger winziger Mann geht auf das monumentale Eingangsportal zu, und Long-Shu Pae glaubt in der Gestalt Mahdi Naflin wiederzuerkennen.
Fast außer sich vor Erregung schaut er sich andere Filme an. Die meisten behandeln nur ein Thema: die Eroberung der Festung der Stille.
Dann sieht er das schöne und ernste Gesicht des Mahdi Vetraysi. Er hört diese seit Jahrhunderten erloschene, doch in diesem Gewölbe noch immer kräftige und gleichzeitig sanft klingende Stimme. Seine Worte besänftigen den inneren Schmerz Long-Shu Paes. Und plötzlich wird er von einer überwältigenden, geradezu ekstatischen Freude ergriffen. Mit seinem ganzen Sein wirft er sich in den leuchtenden Strom, der aus dem Mund des Mahdi sprudelt, und Tränen der Dankbarkeit strömen über sein Gesicht. Er öffnet sein Herz, ohne sich von seinem Denken beeinflussen zu lassen. Selbst nach diesen langen Stunden in dem feuchten, finsteren Archiv verspürt er keine Müdigkeit, in dieser Zeit hat er sich regeneriert.
Wieder und wieder sieht er sich den Film an, prägt sich jedes Wort ein. Und er zieht daraus den Schluss, dass der Orden einen falschen Weg einschlägt und sich langsam, aber unerbittlich von den ursprünglichen Maximen, die so greifbar nahe hier unter dem Kloster Zeugnis ablegen, entfernt.
Nachdem Long-Shu Pae mehrere Wochen regelmäßig
seine Studien im Archiv fortgesetzt hatte, wurde sein Bedürfnis, einige seiner Freunde an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen, immer größer. Er tat es. Doch sie reagierten mit Schweigen und Misstrauen darauf. Manchmal sogar mit Verachtung. Sie wollten, weder direkt noch indirekt, mit einem Dissidenten in Verbindung gebracht werden.
Ein paar Monate später unterzogen die Wächter der Reinheit Long-Shu Pae aufgrund einer anonymen Denunzierung einer Anhörung. Die Ritter, die mit der Überwachung der Orthodoxie ihrer Lehre betraut waren, schlossen den Lehrer daraufhin von ihrer Klostergemeinschaft aus und verbannten ihn als Raskatta auf den Planeten Roter-Punkt. Er hatte seinerzeit um einen Schiedsspruch des Großmeister Mahdi Seqoram gebeten, was von den Wächtern jedoch kategorisch abgelehnt worden war.
»Glaubt Ihr etwa, Ritter, dass der Mahdi seine Zeit mit einem Aufsässigen, einem Rebellen verschwendet?«
Um seine Demütigung noch zu steigern, war das Urteil im großen Innenhof vor allen Klosterinsassen verkündet worden. Auch vor seinen Schülern, die ihm zornige, fast hasserfüllte Blicke zugeworfen hatten.
Von Roter-Punkt aus hatte Long-Shu Pae unzählige Nachrichten an den Mahdi Seqoram gesandt, ohne jedoch jemals eine Antwort zu bekommen. Wahrscheinlich hatte das Entscheidungsgremium sie abgefangen, weil es Probleme fürchtete.
So waren die Jahre vergangen und hatten Long-Shu Pae einsam und verbittert zurückgelassen. Er hatte in dieser Zeit ein
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