Krieger der Stille
dieses Geschäfts stand der Deremat-Apparat des Ordens.
Durch das kurze Gespräch mit dem Krieger, der für die Nachrichtenübermittlung zuständig war, hatte Long-Shu Pae nicht viel Neues erfahren. Alle Informationen, die aus anderen Welten gesammelt worden waren, ließen darauf schließen, dass ein unmittelbarer Krieg zwischen dem Orden und einer Koalition bevorstehe, die von einem Clan, der die Welten des Zentrums beherrschte, angeführt wurde. Überall gebe es alarmierende Gerüchte, und auf vielen Planeten sei bereits Panik ausgebrochen. Es wurde berichtet, die Herren der Konföderation von Naflin, ihre Minister und die Smellas der Kongregation seien im großen Saal des Palasts der Ratsversammlung in Venicia, der Hauptstadt Syracusas eingesperrt und hingerichtet
worden. Handelsreisende behaupteten, dass Monster, die aus einem unbekannten Universum plötzlich aufgetaucht wären, die Fähigkeit hätten, mit Blicken töten zu können. Und dass diese Monster innerhalb weniger Standardstunden alle bisher als uneinnehmbar betrachteten Stützpunkte besetzt hätten und dass sie von nun an alles kontrollierten: die Bewohner, die Kommunikationswege und die Medien aller Planeten.
Es hieß außerdem, dass die Herrscherfamilien unvorstellbare Folterungen erlitten hätten, und dass Tausende von Scheiterhaufen der Kirche des Kreuzes auf allen öffentlichen Plätzen loderten.
Diese Gerüchte – wie alle Gerüchte wahrscheinlich übertrieben – hatten Long-Shu Pae nicht wirklich überrascht, bestätigten sie doch seine eigenen, durch sein Agentennetz gewonnenen Erkenntnisse. Daher hatte er bereits vor dem Empfang dieser Nachricht vermutet, dass der Orden der Absolution nach jahrhundertelanger geheimer Aktivitäten unter dem Schutz der Konföderierten und der Kongregation der Smellas nun zum offenen Kampf antreten würde.
Doch Long-Shu Pae fürchtete, dass diese bevorstehende Schlacht gleichzeitig die erste und die letzte des Ordens sein werde. Ein Beginn, der das Ende bedeutete. Denn sie bedeutete einen unüberwindlichen Bruch mit den Ordensregeln. Doch war dieser Bruch unausweichlich? Der Ritter erinnerte sich an eine Maxime des Mahdi Vetraysi, den direkten Nachfolger des Mahdi Naflin, den Gründer des Ordens: Sähe er sich eines Tages gezwungen, einem Feind auf dem Gebiet der Materie entgegenzutreten, habe er den Kampf bereits verloren …
Vor vielen Jahren hatte das Kloster den jungen Ritter
Long-Shu Pae mit einer Reihe von Friedensmissionen auf unbedeutenderen, nicht zu der Konföderation gehörende Planeten betraut, und ihn dann wieder nach Selp Dik zurückberufen, wo das Entscheidungsgremium – eine aus vier ruhmreichen und hochbetagten Rittern bestehende Institution – ihn für würdig befunden hatte, das Amt eines Ausbilders zu bekleiden. Eine ehrenvolle Aufgabe, der er sich mit Energie und jener flammenden Begeisterung gewidmet hatte, die ihn damals auszeichnete. Und mit seinem beißenden Humor, der wiederum seine Schüler begeisterte. Jedoch hatte er nach und nach feststellen müssen, dass die Entscheidungen des Gremiums immer häufiger seiner tiefsten Überzeugung zuwiderliefen. Über diesen Gewissenskonflikt verstört, hatte er sich dem Großmeister des Ordens, Mahdi Seqoram anvertrauen wollen, doch das Gremium hatte sein Anliegen missbilligt.
»Der Mahdi Seqoram ist sehr beschäftigt. Ihr könnt ihn nicht mit derartigen Lappalien belästigen!«
»Tugenden wie Demut und Gehorsam werden oft auf die Probe gestellt, Ritter. Sucht die Antworten auf Eure Fragen in Euch selbst …«
Doch Long-Shu Pae blieb hartnäckig. Ihn trieb das drängende Bedürfnis zu verstehen. In seinen Mußestunden hatte er jeden Winkel des Klosters erforscht und war schließlich auf eine Treppe unterhalb des äußeren Befestigungswalls um das Kloster gestoßen, die zu dem Geheimarchiv führte. Diese Treppe war als solche kaum erkennbar gewesen, die Stufen verfallen, von Moos überwuchert, glitschig und nahezu unpassierbar.
Da man Long-Shu Pae verboten hatte, den Mahdi um Rat zu fragen, maßte er sich das Recht an – ein Entschluss, der der Ketzerei gleichkam –, die Mahdis der Vergangenheit
um Auskunft zu bitten. Standen sie nicht alle in ein und derselben Tradition?
Im Innern des unterirdischen Gewölbes ist es dunkel. Es riecht stark nach Jod und Moder. Der Ritter lässt den Strahl seiner Laserlampe über die gemauerten Regalwände wandern, auf denen sich unzählige Dokumente aller Art türmen, die mit grünlichem
Weitere Kostenlose Bücher