Krieger des Lichts: Ungezähmtes Herz (German Edition)
.«
Lyon starrte in eine der Zellen. »Je eher wir diese drei um ihre Erinnerungen erleichtern und hier rausschaffen, desto besser. Es gefällt mir nicht, dass sie hier sind. Und ich hoffe inständig, dass du einen Weg in ihr Gedächtnis findest – auch wenn sich deine Vermutung bewahrheitet und der eine Mann tatsächlich blind sein sollte.«
Durch einen starren Blick in die Augen wurde der Verstand manipuliert und Erinnerungen gelöscht. Bei einem Blinden war ein Eindringen nicht so leicht möglich, unter Umständen war es sogar unmöglich.
Wulfe zuckte die Schultern. »Ich tue, was ich kann.«
Tighe würde es besser machen. Er war der Beste, wenn es darum ging, das Innenleben eines Menschenkopfes zu bearbeiten. Aber Tighe war nicht hier und, die große Göttin stehe ihm bei, würde es vielleicht nie wieder sein.
Das leise Rascheln von Kleidung verriet ihm, dass sich einer der Menschen bewegte, und er verdrängte die Trauer, die ihn bei dem Gedanken befiel, seine Freunde womöglich für immer an diese Geistfalle zu verlieren.
Es war die Blonde, die sich regte. In den vergangenen Tagen hatte er oft genug hier Wache gehalten, um zu wissen, welcher Mensch in welcher Zelle lag. Der blinde Mann, den die Dämonen ignoriert hatten, obwohl auch er neben den anderen an einen Pfahl gefesselt gewesen war, befand sich in der Zelle, die er nicht direkt einsehen konnte. Die anderen beiden waren Frauen. Die mit dem Lippenpiercing war dem Aussehen nach noch ein Teenager, während die Blonde bestimmt mindestens acht bis zehn Jahre älter als die beiden anderen war. Sie war dreißig, oder knapp davor, hatte lange Arme und Beine und ein hübsches Gesicht, abgesehen von einer acht Zentimeter langen klaffenden Wunde auf der Wange, die ihr einer der Dämonen beigebracht hatte.
Wulfe hatte sie so weit heilen können, dass sie nicht mehr blutete, doch sie würde eine riesige Narbe zurückbehalten. Und wenn jemand etwas von Narben verstand, dann war er es. Er rieb sich das Kinn und spürte den weichen, einen Tag alten Backenbart. Ein Bart, der kaum seine eigenen Entstellungen verbarg – hässliche Male, die ihn schon vor langer Zeit von einem Mann, den die Frauen bewunderten, in einen verwandelt hatten, vor dem sie zurückschreckten.
Als das leise Stöhnen einer Frau zu hören war, verharrten er und Lyon.
»Es wäre besser, wenn du mit ihr redest, Löwe«, sagte Wulfe leise und langte nach der Jeans, die er an der Wand fallen gelassen hatte. »Sie sollte nicht noch mehr in Angst und Schrecken versetzt werden.«
Lyon knurrte. »Ich habe nicht so viel Glück mit verängstigten Menschen … oder Frauen, die glauben, sie wären ein Mensch.«
Wulfe wusste, dass Lyon auf die Nacht anspielte, in der er ihre neue Strahlende, Kara, mit dem Feingespür eines Elefanten im Porzellanladen aus ihrer Menschenwelt herausgerissen hatte. Sie hatte sich wunderbar eingefügt, doch offensichtlich war es eine Höllennacht gewesen. Für beide.
Er und Lyon blickten sich an, während sie nach einer Möglichkeit suchten, sich vor dieser Spezialaufgabe zu drücken, denn sie wussten, dass der Gefängnistrakt gleich von Schreien oder Schluchzen erfüllt sein würde.
»Wir brauchen Kara«, murmelte Wulfe und zog sich die Hose an.
Lyon nickte, und Erleichterung war in seinem Blick zu erkennen, ehe er sich umdrehte, um ins Haus zurückzugehen. »Ich hole sie.«
»Benutz das Handy.«
»Es dauert nur ein paar Minuten.«
»Feigling.«
»Da hast du wohl recht.« Mit einem kurzen Grinsen verschwand Lyon im Gang und ließ Wulfe mit der Menschenfrau allein, die langsam zu sich kam. Verdammt .
Aus der Sicherheit des Schattens heraus sah Wulfe zu, wie die Frau versuchte sich aufzusetzen. Ihre glatten blonden Haare waren zerzaust und ihre Kleidung zwar zerknittert, aber unversehrt, so wie es aussah. Als sie sich umschaute, trübten sich ihre sanften grauen Augen unter zusammengezogenen Brauen vor Verwirrung. Sie hob eine Hand, berührte die Wunde in ihrem Gesicht und zuckte zusammen, ehe sie erschrak und wie versteinert innehielt.
Die Erinnerungen überkamen sie.
Ihr Kinn fiel herunter, und in ihren Augen spiegelte sich der Schmerz angesichts des Schreckens, dem in den letzten fünftausend Jahren nur wenige Menschen begegnet waren – und niemand hatte überlebt, um davon berichten zu können.
Gleich geht’s los . Wulfe wappnete sich gegen eine Flut von Tränen und ein paar markerschütternde Schreie, noch ehe er sein hässliches Gesicht überhaupt gezeigt
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