Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
Vom Netzwerk:
Produktion immer weiter nach
Osten gewandert. Zuerst nach Polen und Tschechien. Dann nach
Weißrussland. China. Nirgendwo in seiner Heimatgemeinde wurde
noch etwas hergestellt. Nur noch konsumiert. In einer leer stehenden
Spinnerei hatte während der Sommermonate ein internationaler
Bildhauer-Workshop stattgefunden, der von der Europäischen Union
gefördert worden war. Im nachfolgenden Winter war das Dach unter
den Schneemassen eingebrochen. Woher hatte ein Land mit so vielen
Ruinen genügend Geld, um Krieg in weit entfernten Weltregionen
zu führen?
    Daniel
hatte keine Antwort darauf, aber er war ja auch kein Politiker.
Allerdings hatte sich sein Vertrauen in die politischen Mandatsträger
abgenutzt, seit er einige Bundestagsabgeordnete in Afghanistan auf
Besichtigungstour hatte begleiten müssen. Die Abgeordneten
trugen neu gekaufte, beigefarbene Designer-Boots und atmungsaktive
Outdoor-Hosen mit tausend Taschen, in denen nichts Sinnvolles
verstaut war. Verlegenes Lachen, während die kugelsicheren
Westen übergezogen wurden.
    Meistens
entwickelten die Politiker nach ein paar Stunden kameradschaftliche
Gefühle. Mit Hand auf die Schulter legen und so. Auf solche
Vertrautheiten konnte man verzichten, wenn man in einem Land bleiben
musste, in dem ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Einwohner bei
jeder sich bietenden Gelegenheit ausgebrannte Bundeswehrfahrzeuge
bejubelte, während der Bundestagsabgeordnete streng nach
Zeitplan zurück in die Hauptstadt flog. Ins schön
regnerische Berlin. Abends ein Theaterbesuch. Dann Sushi essen und
die Sekretärin flachgelegt. Am nächsten Morgen im
Deutschlandfunk ein Telefoninterview zur Lage in Afghanistan und
danach wird vielleicht ein Naturlehrpfad eingeweiht. Noch einmal
Gelegenheit, die Designer-Boots zu tragen.
    Der
Wagen bog schnittig in die Einfahrt ein und blieb etwa fünf
Meter von Daniel entfernt stehen. Als Rainer ausstieg, fiel Daniel
auf, wie gut der neue Lebensgefährte seiner Frau im Training
war. Fitnessstudio oder Schwimmen oder beides? Bei Gelegenheit würde
er Melanie fragen. Dann verwarf Daniel den Gedanken wieder. Fragen
nach dem Körper des neuen Liebhabers der eigenen Frau verbaten
sich von selbst. Melanie würde nur genervt reagieren.
    »Hallo«,
sagte Rainer.
    Immerhin
streckte er die Hand aus, als er ihm entgegenkam.
    »Hallo«,
antwortete Daniel und ergriff die Hand. Kein Schütteln. Nur eine
kurze aber feste Berührung. Kein Lächeln.
    »Schöner
Ort, den Sie für unser Treffen ausgewählt haben«,
sagte Daniel. »Etwas unpersönlich, aber wahrscheinlich
genau deshalb angemessen.«
    »Mir
wäre ein Milchkaffee im Coffeemaker auch lieber«,
entgegnete Rainer humorlos, »aber mir schien ein Ort
geeigneter, an dem uns nicht jeder zuhören kann. Außerdem
wollte ich Fernsehteams vermeiden, die unverhofft auftauchen, wenn
Sie in der Nähe sind. Sie sind mittlerweile ein Promi.«
    »Unfreiwillig.
Ich hab nicht vor, ins Dschungel-Camp zu gehen.«
    »Wie
auch immer. Hier sind wir ungestört.«
    »Und
worum geht’s?«
    »Ich
mache mir Sorgen um Melanie und Lea.«
    »Glauben
Sie, ich nicht?«
    »Doch,
Sie sind ja der Vater«, antwortete Rainer mit einem Lächeln,
das ein wenig zu breit ausfiel, um noch als freundlich durchzugehen.
    Daniel
merkte, dass seine Angriffsbereitschaft wuchs. Er kämpfte gegen
seinen Körper an, der für unkontrolliertes Vorgehen
plädierte.
    »Bis
zum Scheidungstermin bin ich auch noch der Ehemann.«
    »Das
sollten wir lassen, finden Sie nicht? Wir sind doch keine Teenager
mehr.«
    Magensäure
und Wut stiegen in Daniel hoch und brannten in der Speiseröhre.
Sein Nebenbuhler war so ruhig und abgeklärt, wie er selbst gerne
gewesen wäre.
    »Okay«,
sagte Daniel. Sein Rachen war ausgetrocknet. Er hätte eine
Wasserflasche mitnehmen sollen. Er war unvorbereitet.
    »Reden
wir wie Erwachsene«, schlug Rainer so entspannt vor, als hätte
er ein Patent auf die Vernunft erworben.
    »Gut«,
antwortete Daniel.
    »Wir
sollten Schaden von Melanie und Lea abwenden, so gut es geht.«
    »Ich
würde alles für sie tun.«
    »Das
glaube ich Ihnen, aber manchmal gibt es Kollateralschäden.«
    »Kollateralschäden?«
    »Sie
wissen doch, was ein Kollateralschaden ist?«
    »Allerdings.
Ich war im Krieg. Da ist das die Tagesordnung.«
    »Dann
verstehen wir uns ja.«
    »Nein,
leider überhaupt nicht.«
    Rainer
bewegte seinen Kopf kreisend hin und her, als bräuchte er eine
kurze Entspannungsübung. Dann senkte er den Kopf. Daniel sah
unweigerlich auch

Weitere Kostenlose Bücher