Kriegsklingen (First Law - Band 1)
sammeln.
»Machen Sie sich keine Sorgen, ich weiß, wie Ihnen zumute ist.« Jezal fühlte Wests aufmunternde Hand auf der Schulter. »Beim ersten Mal wäre ich beinahe umgekehrt und weggerannt, aber das geht vorüber, sobald die Eisen gezogen werden, glauben Sie mir.«
»Ja«, murmelte Jezal, »natürlich.« Er bezweifelte, dass West wirklich genau wusste, wie es ihm ging. Er mochte einige Male beim Turnier angetreten sein, aber Jezal vermutete, dass er nicht noch gleichzeitig über ein heimliches Treffen mit der Schwester seines besten Freundes am Abend danach hatte nachdenken müssen. Er fragte sich, ob West wohl noch so mitfühlend wäre, wenn er gewusst hätte, was in dem Brief in seiner Brusttasche stand.
»Wir gehen besser weiter. Wir wollen doch nicht, dass sie ohne uns anfangen.«
»Nein.« Jezal atmete noch einmal tief ein, öffnete die Augen und ließ den Atem dann hart wieder aus den Lungen strömen. Dann stieß er sich von der Wand ab und marschierte eilig durch den Tunnel. Plötzlich keimte Panik in ihm auf – wo waren seine Eisen? Mit verzweifeltem Blick sah er sich um, dann seufzte er erleichtert. Sie waren in seiner Hand.
In der Halle am Ende des Tunnels hatte sich eine große Menge versammelt – Fechtlehrer, Sekundanten, Freunde, Familienmitglieder und das übliche Gefolge, das sich bei solchen Anlässen blicken ließ. Allerdings war leicht zu erkennen, wer zu den Teilnehmern des Turniers gehörte: jene fünfzehn jungen Männer, die ihre Fechteisen fest umklammert hielten. Die Angst, die sie verströmten, war spürbar und ansteckend. Überall sah Jezal bleiche, nervöse Gesichter mit Schweiß auf der Stirn und unruhig in die Runde blickenden Augen. Das dumpfe Murmeln der Zuschauer draußen machte es nicht besser, das überraschend laut durch die geschlossene Doppeltür am Ende des Saals hereindrang und wie ein sturmgepeitschtes Meer an- und abschwoll.
Nur ein einziger Mann schien von der ganzen Aufregung nicht berührt, sondern lehnte gemächlich an einer Wand, einen Fuß gegen die Stuckverzierungen gestemmt. Er hatte den Kopf ein wenig zurückgelegt und sah an seiner Nase vorbei aus kaum geöffneten Augen auf die hier versammelte Runde. Die meisten Teilnehmer waren schlank, sehnig, athletisch. Er war das genaue Gegenteil. Ein schwerer, großer Mann, der das Haar kurz wie eine Bürste geschoren hatte. Er hatte einen dicken Hals und ein Kinn wie eine Türschwelle – das Kinn eines gemeinen Mannes, dachte Jezal, aber ein kräftiger und mächtiger Mann, fähig zu gemeinen Taten. Jezal hätte ihn für einen Diener gehalten, hätte er nicht ein paar Eisen locker in der Hand getragen.
»Gorst«, flüsterte West in Jezals Ohr.
»Puh. Der sieht ja eher aus wie ein Arbeiter denn wie ein Fechter.«
»Mag sein, aber der erste Eindruck mag täuschen.« Das Murmeln der Menge wurde allmählich leiser, und wie aufs Stichwort verebbten auch die nervösen Gespräche im Raum. West hob die Augenbrauen. »Die Ansprache des Königs«, raunte er.
»Liebe Freunde! Liebe Landsleute! Liebe Mitbürger der Union!«, war eine durchdringende Stimme zu vernehmen, die auch durch die dicke Tür gut zu verstehen war.
»Hoff«, schnaubte West. »Selbst hier nimmt er den Platz des Königs ein. Wieso setzt er sich nicht einfach die Krone auf und bringt die ganze Sache ein für alle Mal hinter sich?«
»Vor genau einem Monat«, ertönte die entfernte Stimme des Lord Schatzmeisters, »stellten einige meiner Kollegen im Geschlossenen Rat die Frage … ob es in diesem Jahr überhaupt ein Turnier geben solle?« Buhrufe und laut geäußerter Unmut schallten von der Menge zurück. »Eine berechtigte Frage!«, rief Hoff, »denn wir sind im Krieg! Ein tödlicher Kampf tobt im Norden! Eben jene Freiheiten, die wir so hoch in Ehren halten, jene Freiheiten, um die wir von der ganzen Welt beneidet werden, unsere ganze Lebensart wird von diesen Wilden bedroht!«
Ein Schreiber ging nun durch den Raum und trennte die Teilnehmer von ihren Familien, Ausbildern und Freunden. »Viel Glück«, sagte West und klopfte Jezal auf die Schulter. »Ich sehe Sie dann auf dem Kampfplatz.« Jezals Mund war trocken, und er konnte nur nicken.
»Und es waren tapfere Männer, die diese Frage stellten!«, tönte Hoffs Stimme von der anderen Seite der Tür. »Weise Männer. Patrioten allesamt! Meine aufrechten Kollegen aus dem Geschlossenen Rat! Ich verstand durchaus, weshalb sie dachten, dass es in diesem Jahr vielleicht kein Turnier geben sollte!« Es
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