Kriegsklingen (First Law - Band 1)
seinen Finger in die königlichen Rippen.
Der König zuckte zusammen, die Augenlider öffneten sich mit einem Ruck, das Doppelkinn schwabbelte, und er starrte Jezal mit wilden, blutunterlaufenen und rot geränderten Augen an.
»Eure Majestät, dies ist Hauptmann …«
»Raynault!«, rief der König aus, »mein Sohn!«
Jezal schluckte nervös und tat sein Bestes, weiterhin verkrampft zu lächeln. Der senile alte Narr hatte ihn mit seinem jüngeren Sohn verwechselt. Noch schlimmer war dabei, dass der Prinz selbst keine vier Schritte entfernt stand. Das hölzerne Grinsen der Königin verzerrte sich leicht. Prinzessin Terez’ Lippen waren verächtlich gekräuselt. Der Lord Schatzmeister hüstelte verlegen. »Ähm, nein, Eure Majestät, dies ist …«
Aber es war zu spät. Ohne Vorwarnung erhob sich der Monarch mühsam und schloss Jezal begeistert in die Arme, wobei die schwere Krone noch weiter zur Seite rutschte und mit einem der juwelenbesetzten Zacken fast in Jezals Auge stach. Lord Hoff öffnete den Mund, doch war kein Laut zu hören. Die beiden Prinzen starrten ihn an. Jezal brachte lediglich ein hilfloses Gurgeln heraus.
»Mein Sohn!«, stieß der König übermannt von Gefühlen mit erstickter Stimme hervor. »Raynault, ich bin so froh, dass du zurück bist! Wenn ich nicht mehr bin, wird Ladisla deine Hilfe brauchen. Er ist so schwach, und die Krone wiegt so schwer! Du warst stets besser geeignet, sie zu tragen! Sie wiegt so schwer!« Schluchzend verbarg er sein Gesicht an Jezals Schulter.
Es war wie ein fürchterlicher Albtraum. Ladisla und der wahre Raynault starrten einander entsetzt an, blickten dann wieder zu ihrem Vater und sahen aus, als werde ihnen übel. Terez blickte von oben herab und mit unverhohlener Verachtung auf ihren angehenden Schwiegervater. War es zuvor schon peinlich gewesen, so war dieser Moment noch bedrückender. Was tat man in einer solchen Situation? Gab es irgendeine Vorschrift der Etikette für einen solchen Augenblick? Jezal klopfte dem König verlegen auf den Rücken. Was hätte er sonst tun können? Dem senilen alten Idioten einen Schubs geben, damit er vor den Augen der Hälfte seiner Untertanen auf dem Arsch landete? Fast fühlte er sich versucht, genau das zu tun.
Es war ein kleiner Trost, dass die Menge die königliche Umarmung als Anerkennung für Jezals Fechtkünste wertete und seine Worte mit neuerlich aufbrandendem Applaus erstickte. Außerhalb der königlichen Loge hatte niemand gehört, was er gesagt hatte. Die Zuschauer hatten die volle Tragweite dessen, was zweifelsohne der peinlichste Augenblick in Jezals Leben war, nicht mitbekommen.
DAS IDEALE PUBLIKUM
Als Glokta eintraf, stand Erzlektor Sult vor seinem großen Fenster, wie immer imposant in seinem fleckenlosen weißen Mantel, und sah über die spitzen Türmchen der Universität zum Haus des Schöpfers hinüber. Ein angenehmer Luftzug wehte durch den großen runden Raum, zerzauste die weiße Mähne des alten Mannes und ließ die vielen Schriftstücke auf seinem riesigen Schreibtisch rascheln und flattern.
Sult drehte sich um, als Glokta durch die Tür schlurfte. »Herr Inquisitor«, sagte er schlicht und streckte ihm seine Hand entgegen, sodass der große Edelstein auf seinem Siegelring das helle Sonnenlicht auffing, das durch das offene Fenster schien, und vor purpurnem Feuer glühte.
»Ich diene und gehorche, Eure Eminenz.« Glokta nahm die dargebotene Hand in die seine und verzog das Gesicht, als er sich verneigte, um den Ring zu küssen, während sein Stock zitterte infolge der Anstrengung, aufrecht stehen zu bleiben.
Ich will verdammt sein, wenn der alte Drecksack seine Hand nicht jedes Mal ein bisschen tiefer hält, nur um zu sehen, wie sehr ich mich abmühen muss.
Sult glitt mit einer einzigen eleganten Bewegung in seinen hochlehnigen Stuhl, die Ellenbogen auf die Tischplatte und die Finger vor sich aneinander gelegt. Glokta blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben. Sein Bein schmerzte von dem vertrauten Aufstieg im Haus der Befragungen,
Schweiß rann über seine Kopfhaut, und er wartete nur auf die Erlaubnis, sich zu setzen.
»Bitte nehmen Sie Platz«, erklärte der Erzlektor und beobachtete, wie sich Glokta mit verzerrtem Gesicht auf einen der weniger aufwändig gestalteten Stühle fallen ließ, die um den runden Tisch herumstanden. »Sagen Sie mir, haben Ihre Untersuchungen inzwischen erste Erfolge gezeitigt?«
»Einige. Es gab kürzlich nachts einen Zwischenfall in der Unterkunft
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