Kriegsklingen (First Law - Band 1)
wirklich enorme Stimme, die laut genug war, um die Dachbalken erzittern zu lassen. In dem Bewusstsein, nun die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich gezogen zu haben, proklamierte Lestek seine Zeilen, während seine Hände durch die Luft fuchtelten und überbordende Leidenschaft sein Gesicht überzog.
Mein Meister Juvens liegt vom Tod gefällt
Mit ihm zieht aller Frieden aus der Welt
Besieget von Kanedias’ Verrat
Kündet sein Tod, die grauenvolle Tat
Vom Ende einer Zeit.
Der alte Schauspieler warf den Kopf zurück, und Glokta sah Tränen in seinen Augen glitzern.
Ein hübscher Trick, so auf Befehl weinen zu können.
Ein einsamer Tropfen rann langsam über seine Wange, und das Publikum sah gebannt auf die Bühne. Er wandte sich wieder dem Leichnam zu.
Der Mord durch Hand des Bruders, der so weit
Ging, dass die blut’ge Tat zum Himmel schreit.
Beinah erwart ich, es erlischt das Sternenlicht
Oh, warum öffnet sich der Boden nicht
Mit sengendem Flammenstrahl?
Er warf sich auf die Knie und schlug sich gegen die alternde Brust.
Welch bittres Los trifft uns nun hart! Wie gern
erlitt auch ich das Schicksal meines Herrn.
Eng, leer erscheint die Welt uns ohne ihn
Doch müssen wir einsam weiterziehn
Und kämpfen.
Lestek sah langsam hoch und blickte ins Publikum, stand auf, und sein Gesichtsausdruck wandelte sich von tiefer Trauer zu grimmigster Entschlossenheit.
Verschlossen und versiegelt ist des Schöpfers Haus
fürwahr
Erbaut aus Fels und wunderhartem Stahl steht es nun da
Und wenn ich harre, bis der Stahl wird Rostes Raub
Und meine nackten Hände schmettern Fels zu Staub
Mein ist die Rache!
Die Augen des Schauspielers sprühten Feuer, als er mit wehendem Gewand zu donnerndem Applaus von der Bühne schritt. Es war eine gekürzte Version eines bekannten Stücks, das oft gezeigt wurde.
Allerdings selten so gut.
Glokta stellte überrascht fest, dass er klatschte.
Wirklich ein überragender Auftritt. Edelmut, Leidenschaft, Befehlsgewalt. Wesentlich überzeugender als ein anderer nachgemachter Bayaz, an den ich gerade denken muss.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, streckte sein linkes Bein unter dem Tisch aus und freute sich auf eine unterhaltsame Aufführung.
Logen verfolgte das Stück mit von Verwirrung gezeichnetem Gesicht. Er vermutete, dass es sich hier um eines der Spektakel handelte, von denen Bayaz gesprochen hatte, aber er beherrschte die Sprache nicht sicher genug, um Einzelheiten mitzubekommen.
Vorn auf der Bühne lief man unter großem Geseufze und mit ausufernden Handbewegungen von links nach rechts, trug leuchtende Kostüme und sprach in einem seltsamen Singsang. Zwei der Männer sollten wohl dunkelhäutig aussehen, dachte er, dabei war es völlig offensichtlich, dass sich zwei Blassgesichtige lediglich dunkle Farbe ins Gesicht geschmiert hatten. In einer Szene flüsterte jener, der den Bayaz spielte, einer Frau durch eine Tür hindurch etwas zu und schien sie darum zu bitten, ihm zu öffnen, aber die Tür war nur ein bemaltes Stück Holz, das für sich allein mitten auf der Bühne stand, und die Frau war in Wirklichkeit ein Jüngling in einem Kleid. Es wäre doch einfacher gewesen, dachte Logen, um das Stück Holz herumzugehen und ihn oder sie direkt anzusprechen.
Bei einem war sich Logen jedoch sicher – der echte Bayaz war ernsthaft verärgert. Der Nordmann spürte, wie sein Zorn sich mit jeder Szene steigerte. Ein Höhepunkt des Zähnezusammenbeißens und Kiefermahlens kam, als der Schurke des Stücks, ein massiger Mann mit einem Handschuh und einer Augenklappe, den Jungen in dem Kleid über ein paar aus Holz nachgebaute Zinnen warf. Es war klar, dass es so aussehen sollte, als ob er oder sie sehr tief hinunterstürzte, obwohl Logen hören konnte, wie der Schauspieler hinter der Bühne auf etwas Weiches fiel.
»Wie können sie es wagen, verdammt noch mal?«, zischte der echte Bayaz unterdrückt. Logen wäre am liebsten ganz aus dem Saal verschwunden, wenn ihm das möglich gewesen wäre, aber er musste sich damit zufrieden geben, lediglich mit dem Stuhl weiter auf West zuzurücken und möglichst viel Abstand zu dem vor Wut siedenden Magus zu halten.
Auf der Bühne kämpfte der andere Bayaz gerade gegen den Alten mit dem Handschuh und der Augenklappe, obwohl sie sich dabei gemächlich im Kreis bewegten und recht viel redeten. Schließlich ging der Schurke denselben Weg wie zuvor der Junge und verschwand hinter der Bühne, aber nicht, bevor ihm
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