Kriegsklingen (First Law - Band 1)
schleuderten sie dann wieder gegen die Wand.
»Wir beide wären erledigt!« Ihr Kopf stieß gegen die Wand – einmal, zweimal, dreimal. Eine Hand griff nach ihrem Hals. Zähne gebleckt. Sein Körper gegen ihren. Aus ihrer Kehle entwich ein kleines Keuchen, als die Finger zuzudrücken begannen.
»Du selbstsüchtige, nutzlose … verdammte … Hure!«
Das Haar hing ihr ins Gesicht. Er konnte nur einen kleinen Streifen ihrer Haut sehen, einen Mundwinkel, ein dunkles Auge.
Das Auge starrte ihn an. Ohne Schmerz. Ohne Angst. Leer, flach, wie ein Leichnam.
Drücken. Keuchen. Drücken.
Drücken …
Mit einem Übelkeit erregenden Ruck kam West wieder zu Verstand. Die Finger lösten sich, er riss seine Hand weg. Seine Schwester blieb aufgerichtet an der Wand stehen. Er konnte sie atmen hören. Kurze Stöße. Oder war er das? Sein Kopf platzte beinahe. Das Auge starrte ihn noch immer an.
Er musste sich das eingebildet haben. Ging gar nicht anders. Jeden Augenblick würde er aufwachen, und der Albtraum wäre vorbei. Ein Albtraum. Dann schob sie sich das Haar aus dem Gesicht.
Ihre Haut war wächsern, teigig blass. Das Blut, das aus ihrer Nase sickerte, sah dagegen beinahe schwarz aus. Die rosafarbenen Druckstellen waren leuchtend auf ihrem Hals zu sehen. Die Spuren, die seine Finger hinterlassen hatten. Seine Finger. Es war also wahr.
West drehte sich der Magen um. Er öffnete den Mund, aber es war kein Laut zu hören. Wieder sah er das Blut auf ihrer Lippe an, und er hätte sich am liebsten übergeben. »Ardee …« Der Ekel vor sich selbst war so stark, dass ihm beinahe wirklich übel wurde, als er ihren Namen aussprach. Er spürte die Galle in seiner Kehle brennen, aber seine Stimme hörte nicht auf, weiterzufaseln. »Es tut mir leid … Es tut mir so leid … Ist alles in Ordnung?«
»Mir ist es schon schlechter gegangen.« Langsam bewegte sie die Hand und berührte mit der Fingerspitze ihre Lippe. Das Blut verschmierte sich über ihren Mund.
»Ardee …« Eine Hand streckte sich ihr entgegen, dann zuckte sie zurück, vor Angst, sie könnte wieder etwas Falsches tun. »Es tut mir leid …«
»Ihm tat es immer leid. Weißt du nicht mehr? Hinterher hielt er uns immer im Arm und weinte. Dann tat es ihm leid. Aber es hat ihn nie daran gehindert, es wieder zu tun. Hast du das vergessen?«
West würgte, schluckte die Galle mühsam hinunter. Wenn sie geweint, getobt und ihn mit Fäusten attackiert hätte, wäre es für ihn leichter gewesen. Alles, nur nicht das hier. Er hatte versucht, nie wieder daran zu denken, aber er hatte es nicht vergessen. »Nein«, flüsterte er, »ich weiß es noch.«
»Glaubst du, dass es aufhörte, als du gingst? Er wurde nur noch gemeiner. Damals habe ich mich allein irgendwo versteckt. Dann träumte ich davon, dass du wiederkommen würdest … dass du wiederkämst und mich rettetest. Aber wenn du kamst, dann immer nur für kurze Zeit, und es war nicht mehr so zwischen uns wie früher, und du hast nichts getan.«
»Ardee … ich wusste ja nicht …«
»Du hast es gewusst, aber du konntest fliehen. Es war leichter, nichts zu tun. Sich etwas vorzumachen. Ich verstehe das, und weißt du was, ich mache dir nicht einmal einen Vorwurf. Es war gewissermaßen auch eine Erleichterung, damals, dass du es geschafft hattest zu fliehen. Der Tag, an dem er starb, war der glücklichste in meinem Leben.«
»Er war unser Vater …«
»O ja. Mein Pech. Mein Pech mit Männern. Am Grab habe ich wie eine trauernde Tochter geweint. Geweint und geweint, bis die anderen Trauergäste um meinen Verstand fürchteten. Dann lag ich wach im Bett, bis alle anderen schliefen. Ich schlich mich aus dem Haus, ging wieder zum Grab, stand dann eine Weile da und habe hinuntergesehen … und dann habe ich verdammt noch mal darauf gepisst! Ich zog mein Hemd hoch, hockte mich hin und habe auf ihn gepisst! Und die ganze Zeit dachte ich immer nur, ich werde mich nie wieder so quälen lassen!«
Sie wischte sich das Blut von ihrer Nase auf den Handrücken. »Du hättest sehen sollen, wie glücklich ich war, als du nach mir geschickt hast! Wieder und wieder habe ich diesen Brief gelesen. Meine lächerlichen kleinen Träume erwachten alle wieder zum Leben. Hoffnung, was? Nichts als ein verdammter Fluch! Mit meinem Bruder leben. Meinem Beschützer. Er wird sich um mich kümmern, wird mir helfen. Jetzt kann
ich
vielleicht einmal ein richtiges Leben haben! Aber ich stellte fest, dass du anders warst, als ich dich in Erinnerung
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