Kriegsklingen (First Law - Band 1)
hatte. Ganz erwachsen. Erst hast du mich ignoriert, mir dann einen Vortrag gehalten, mich dann geschlagen, und jetzt tut es dir leid. Du bist wirklich der Sohn deines Vaters!«
Er stöhnte. Es war, als ob sie ihn mit einer Nadel stach, mitten in den Schädel. Weniger stark jedoch, als er es verdiente. Sie hatte recht. Er hatte sie im Stich gelassen. Schon viel früher. Während er mit seinem Degen gespielt hatte und anderen in den Arsch gekrochen war, hatte sie gelitten. Es hätte nur ein wenig Anstrengung gekostet, aber er konnte sich dem nie stellen. Jede Minute, die er mit ihr verbrachte, fühlte er die Schuld wie einen Stein in seinen Eingeweiden, der ihn nach unten zog, unerträglich.
Sie ging von der Wand weg. »Vielleicht ziehe ich jetzt los und statte Jezal einen Besuch ab. Er ist vielleicht der oberflächlichste Idiot in der ganzen Stadt, aber ich denke, er würde nie die Hand gegen mich erheben, oder was meinst du?« Sie schob ihn aus dem Weg und ging zur Tür.
»Ardee!« Er hielt sie am Arm fest. »Bitte … Ardee … Es tut mir leid …«
Sie streckte die Zunge aus, rollte die Ränder nach oben und spuckte durch den kleinen Tunnel Blut. Es traf ihn weich vorn auf seiner Uniform. »Das ist fürs Leidtun, du Arschloch.«
Damit knallte sie ihm die Tür vor der Nase zu.
VIELE GÖTTER
Ferro sah den großen Rosig mit zusammengekniffenen Augen an, und er starrte zurück. So ging es nun schon eine ganze Weile, nicht die ganze Zeit zwar, aber doch die meiste. Anstarren. Sie waren alle hässlich, diese weichen, weißen Geschöpfe, aber dieses hier war etwas Besonderes.
Hässlich.
Sie wusste, dass sie Narben hatte und wettergegerbte Haut von Sonne und Wind, die durch die Jahre in der Wildnis zusätzlich gelitten hatte, aber die blasse Haut von dem da sah aus, als sei sie ein Schild, der des Öfteren in der Schlacht eingesetzt worden war – zerschlagen, zerfurcht, zerrissen, zerbeult. Es war beinahe überraschend zu sehen, dass die Augen in einem so mitgenommenen Gesicht noch so lebendig waren, aber das waren sie, und sie beobachteten Ferro.
Sie war zu dem Schluss gekommen, dass er gefährlich war.
Nicht nur groß, sondern stark. Brutal stark. Vielleicht zweimal so schwer wie sie, und sein breiter Hals bestand nur aus Sehnen. Sie konnte die Kraft fühlen, die von ihm ausging. Es hätte sie nicht überrascht, wenn er sie mit einer Hand hätte hochhalten können, aber das bereitete ihr nicht allzu viele Sorgen. Er hätte sie dazu erst einmal erwischen müssen. Größe und Kraft machen einen Mann oft langsam.
Langsam und gefährlich, das geht nicht zusammen.
Narben machten ihr ebenfalls keine Angst. Sie bedeuteten nur, dass er in viele Kämpfe verwickelt gewesen war, sagten aber nichts darüber aus, dass er sie auch gewonnen hatte. Nein, es lag eher an anderen Dingen. Die Art, wie er saß – ruhig, aber nicht völlig entspannt. Allzeit bereit. Geduldig. Die Art, wie seine Augen hin und her glitten – schlau, vorsichtig, erst zu ihr, dann über alles andere in diesem Zimmer, dann wieder zurück zu ihr. Dunkle Augen, beobachtend, nachdenklich. Abschätzend. Dicke Adern auf seinen Handrücken, aber lange Finger, kluge Finger, mit Dreckrändern unter den Nägeln. Ein Finger fehlte. Ein weißer Stummel. Ihr gefiel das alles überhaupt nicht. Roch nach Gefahr. Dem da würde sie nicht gern unbewaffnet gegenübertreten.
Aber sie hatte ihr Messer dem Rosig auf der Brücke gegeben. Dabei war sie kurz davor gewesen, ihn abzustechen, hatte sich aber in letzter Minute anders entschieden. Etwas in seinen Augen hatte sie an Aruf erinnert, bevor die Gurkhisen seinen Kopf auf einen Speer gespießt hatten. Traurig und gleichmütig, als ob er sie verstand. Als ob sie ein Mensch war und kein Ding. Im letzten Augenblick hatte sie sich überwunden und die Klinge weggegeben. Hatte zugelassen, dass man sie hierher führte.
Wie blöd!
Sie bereute das jetzt bitterlich, aber sie würde auf jede andere Art kämpfen, die ihr blieb, wenn sie musste. Die meisten Menschen erkennen nicht, dass die Welt voller Waffen ist. Dinge, die man werfen oder die man auf seine Feinde schleudern kann. Dinge, die man zerbrechen, oder Dinge, die man als Keulen verwenden kann. Gedrehte Tuchstücke, mit denen man andere erwürgen kann. Erde, die man seinen Feinden ins Gesicht werfen kann. Und wenn alles nichts nützte, würde sie ihm die Kehle aus dem Hals beißen. Sie zog ihre Lippen zurück und zeigte ihm ihre Zähne, um zu beweisen, dass sie das
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