Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
Dass sich Shade unter der Berührung versteifte, bemerkte sie in ihrer guten Laune nicht. „Stell dir das so vor: Der Königsmord ist der Schlimmste von allen. Die anderen danach sind nur noch Trivialitäten. Verstehst du?“
Shade schüttelte den Kopf. Ihm war schlecht.
„Ich weiß, der Erste braucht immer ein bisschen Überwindung, das ist bei mir auch so gewesen. Aber deshalb ist es wichtig, dass du gleich zu Anfang den Schlimmsten hinter dich bringst.“
Shade musste tief durchatmen, um den Brechreiz, der ihn überkam, zu unterdrücken.
Ich habe zwar schon getötet, aber einen Anschlag auf Unschuldige habe ich noch nie begangen!
„Wir warten hier die Dämmerung ab, also macht es euch, soweit es geht, gemütlich. Shade, wenn ich um ein Wort mit dir bitten dürfte.“
Shade schrak hoch und schüttelte Ashs Arm ab, der immer noch auf seiner Schulter geruht hatte.
„Natürlich“, krächzte er mit heiserer Stimme. Sich räuspernd folgte er dem hageren Mann ein Stückchen zur Seite.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du einen behinderten Jungen geheilt hast.“ Shade nickte und fragte sich, ob die Tatsache, dass der Junge geistig behindert gewesen war, eine wichtige Rolle spielte.
„Ich bin mir jedoch sicher, dass du mich verstanden hast, als ich euch gesagt habe, dass ihr nicht auffallen solltet.“
Wieder nickte er.
„Es interessiert mich zu hören, was du für Gründe gehabt hast, meine Anweisung in den Wind zu schlagen“, fragte Mythos freundlich, doch seine bleigrauen Augen behielten ihren kalten Ausdruck bei.
„Das war eine spontane Handlung. Seine Mutter bat mich um Hilfe, also habe ich getan, was ich konnte“, zischte Shade zunehmend gereizt, weil er sich vorkam wie ein kleiner Junge, der von seinem Meister gerügt wurde.
„Ich kann verstehen, dass du dich in dieser Situation unwohl gefühlt und deswegen geholfen hast“, begann Mythos mit sanfter Stimme, „aber wir können nicht einfach helfen, wenn es uns passt. Wir dienen dem Reich. Da bleibt kein Platz für eine Privatkampagne.“
„Warum?“, stieß Shade mühsam hervor. Er fühlte die Emotionen in sich wüten. Am liebsten hätte er Mythos am Kragen gepackt und ihn so lange geschüttelt, bis er alle Antworten auf seine Fragen bekommen hätte.
„Weißt du noch, unter welchem Namen wir bei den Militärs und dem Hochkönig bekannt sind? Der Ring der Gehorsamen . Wir dienen dem Hochkönig. Vollumfänglich. Das ist unser Schicksal. Weswegen, glaubst du, haben wir unsere Kräfte? Manchmal stellst du zu viele Fragen, Shade. Ich habe gedacht, dass du dieses Problem allmählich im Griff hast, aber ich muss mich wohl geirrt haben.“
Darauf antwortete Shade nicht und so herrschte eine Weile ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen. Von der Lichtung her wehten die Stimmen der anderen heran, doch diese spendeten ihm keinen Trost.
Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre.
„Mythos.“
„Ja?“
„Ich ... “, zögerte er kurz, gab sich dann jedoch einen Ruck und fuhr fort: „Als die Mutter mich angefleht hat, ihrem Jungen zu helfen, bin ich mir sicher gewesen, dass ich das nicht kann. Als ich den Jungen aber gesehen habe, ist etwas passiert. Mir kamen plötzlich Bilder in den Sinn. Bilder aus meiner Vergangenheit – Erinnerungen. Ab diesem Augenblick konnte ich mich plötzlich an alles, was mit Heilen zu tun hat, erinnern. Ich bin fähig gewesen, dem Jungen zu helfen.“ Er hielt inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. „Warum kann ich mich an Teile meiner Vergangenheit erinnern und an andere nicht? Warum kann ich mir meinen Vater genau vorstellen, doch meine Mutter nicht? Ich bin Arzt, Mythos. Ich weiß, dass es Leute gibt, die nach einem schweren Unfall Dinge vergessen. Aber ich bin sicher, dass mir nichts dergleichen passiert ist.“ Er sah Mythos direkt in die Augen. Dem anderen Mann gelang es nicht, seine Emotionen ganz vor ihm zu verbergen. Kurz flackerte Unsicherheit in seinen Augen auf, die jedoch gleich wieder verschwand.
„Ich kann dir leider keine Antworten liefern. Ich weiß nicht, was dir zugestoßen ist, bevor du zu uns gekommen bist“, wich er distanziert aus.
Er sagt mir nicht die Wahrheit. Er weiß mehr, dieser Bastard!
Heiße Wut erfüllte Shade und es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen. Seine Wut hatte den Ursprung in Ungewissheit und Furcht. Was konnte er für ein Leben führen, wenn er dieses nicht einmal kannte? Wer hatte ihm das angetan?
„Beeinflussen diese Gedanken heute
Weitere Kostenlose Bücher