Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
Abend deine Handlungsfähigkeit, Shade?“, fragte Mythos mitten in dessen Grübeleien hinein.
Ja.
Shade schwieg und der hagere Mann seufzte. Es war offensichtlich, dass Shades Zweifel für ihn im denkbar schlechtesten Moment eingesetzt hatten.
„Ich kann dir nur nahelegen, deine nächste Handlung gut zu überdenken. Natürlich kannst du uns verlassen. Aber bedenke, was dir dann bleiben würde! Nichts. Immer auf der Flucht, immer unterwegs, gehetzt vom Militär und vielleicht sogar von uns. Was siehst du mich so fragend an? Es ist möglich, dass wir auf dich angesetzt werden, wenn du desertierst.“
„Aber ihr würdet nicht ...“
„Was? Dich jagen, dich töten? Wenn wir den Befehl dazu bekommen, dann schon, Shade. Wir leben, um zu dienen“, sagte Mythos noch einmal mit Nachdruck.
Shade biss sich auf die Lippen. Er war frustriert.
„Bitte, bleib bei uns. Der heutige Abend wird sicher nicht schön, aber schließlich tun wir etwas Gutes für das Reich.“
„Es gäbe sicher auch eine andere Lösung dafür!“, flüsterte Shade leise.
„Das spielt keine Rolle. Das Militär hat sich für diese Lösung entschieden, daran gibt es nichts zu rütteln.“ Mythos machte eine kurze Pause und blickte ihn nachdenklich an. „Wir hatten am Anfang alle Schwierigkeiten mit dem Töten gehabt, aber das geht vorbei. Versuche es nicht zu begreifen. Akzeptiere dein Schicksal, mehr noch, umarme es.“ Mythos klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und wandte sich dann von ihm ab, um zu den anderen zurückzukehren.
Shade blieb noch einen Moment stehen. Er hoffte, dass ihm ein Ausweg aus seiner Misere einfiel, doch die Zeit verstrich und trotz intensiven Grübelns fand er keine Lösung für sein Problem.
Mythos hat recht. Ich kann nicht weg. Ich kann nicht. Ich muss mein Schicksal akzeptieren. Warum fällt es mir so schwer?
Niedergeschlagen kehrte auch Shade zu den anderen zurück. Er kam sich vor wie ein Fremder, der die anderen Tempelbewohner zum ersten Mal sah. Sie standen in Grüppchen zusammen, diskutierten oder korrigierten einander beim Üben mit dem Schwert. Shade blieb den Nachmittag über alleine, ein Häufchen Elend, das ganz von seinem inneren Disput in Anspruch genommen wurde.
Viel zu schnell ging die Sonne unter und Mythos rief zum Aufbruch. Wie schon so oft blieb sein Blick auf Shade haften, als er ihn durch die Runde schweifen ließ. Shade nickte ihm knapp zu und stand steif auf. Er hatte sich noch immer nicht mit dem Gedanken, gleich ein Blutbad anzurichten, anfreunden können, doch da ihm kein Ausweg eingefallen war und ihn die Zeit eingeholt hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzugehen.
Sie stiegen auf ihre Pferde und kehrten von ihrem Versteck auf den Weg zurück. Niemand sprach, als sie durch die dunkle Nacht ritten. Schon am Nachmittag war der Himmel bedeckt gewesen und bald setzte ein feiner Nieselregen ein. Kalt war es nicht – Shade fröstelte trotzdem.
Kurz bevor die Straße nach Laey hineinführte, wichen die Tempelbewohner, von Mythos angeführt, auf einen unebenen Feldweg aus. So umrundeten sie die Hauptstadt dieses Königreichs fast zur Hälfte. Irgendwann blieben sie vor der Mauer stehen. Wispernd befahl ihnen Mythos, von ihren Pferden zu steigen und sie samt Sattel und Zaumzeug laufen zu lassen. Shade konnte nicht sagen, was an diesem Stück Mauer besonders war. Er zweifelte jedoch keinen Augenblick daran, dass Mythos genau wusste, was er tat.
„Ivy, wenn ich bitten darf.“ Er trat einen Schritt beiseite, um der Frau Platz zu machen. Ivy machte sich gleich ans Werk. Der Boden erzitterte kurz, als zehn Sprösslinge durch die Erdkruste brachen und, noch während sie dicker und stabiler wurden, die Mauer emporkrochen. Als sie über dem Ende der Mauerkrone verschwunden waren, machte sich Mythos daran, behände an dem Geflecht aus Kletterpflanzen hinaufzuklettern. Shade staunte nicht schlecht, als ihm die anderen genauso flink folgten.
Dies wäre der Zeitpunkt gewesen, um zu gehen. Doch Shade entschied sich dagegen und tat es den anderen – ein wenig ungeschickter – gleich. Die Ranken der Kletterpflanzen waren erstaunlich gut in der Mauer verankert und es war bloß eine Frage seines Könnens, heil oben anzukommen. Zweimal fanden seine Finger nicht genügend Halt und er drohte abzurutschen, doch beide Male schoben sich die Ranken so hin, dass er wieder sicher nach ihnen greifen konnte.
Oben angekommen erwarteten die anderen ihn bereits ungeduldig. Rost berührte kurz eine
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