Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
ins Grab sinken: Pippin 810, Karl, dem als Haupterbe offenbar lange Zeit die Kaiserkrone zugedacht war, schon im Jahr darauf. Es traf den Herrscher so, daß er daran dachte, Mönch zu werden. Nur der jüngste und, wie er wußte, am wenigsten für den Thron taugliche, 778 in Chasseneuil bei Poitiers geborene Ludwig blieb von seinen »legitimen« Söhnen übrig, um schließlich, bereits sechsunddreißig Jahre alt, als Kaiser eingesetzt, dann abgesetzt, wieder eingesetzt, noch einmal gestürzt und noch einmal zurückgeholt zu werden.
Ende gut, alles gut? Nun, jedenfalls hatte der fromme Ludwig, was ja mehr zählt als alles, schon von kleinauf »immer Gott fürchten und lieben gelernt«, wie der eine seiner zeitgenössischen Biographen um 837 überliefert, der vornehme Franke Thegan, Chorbischof des Trierer Bistums, Propst des St. Cassius-Stifts in Bonn. Seit 781 war Ludwig Unterkönig in Aquitanien und von Papst Hadrian I. gesalbt. Und am Sonntag den 11. September 813 ließ ihn der Vater in Aachen zum Nachfolger proklamieren, auch zum Mitkaiser krönen, dabei freilich auf jede Beteiligung des Papstes verzichtend, ja, auf die jedes Geistlichen.
Doch geschah das Ganze vor einem Altar, geschah »zu Ehren unseres Herrn Jesus Christus« nach langen Gebeten der beiden Potentaten. Karl ermahnte den Sohn und Nachfolger, besonders den Allmächtigen zu lieben, zu fürchten, seine Gebote in allem zu befolgen, seine Kirchen zu leiten, die Priester zu ehren wie Väter, das Volk zu lieben wie Söhne. Hochmütige und üble Menschen sollte er auf den Weg des Heils zwingen, die Klöster trösten und gottesfürchtige Diener anstellen. Er fand kaum ein Ende in seiner Beschwörung des Herrn, krönte Ludwig dann aber, nachdem dieser eidlich alles zu halten gelobt hatte, zum Mitkaiser, worauf das Volk schrie: »Es lebe Kaiser Ludwig!«, und beide Monarchen die Messe hörten.
Seit dieser Krönung hat Karl, schon recht hinfällig, auf einem Fuß auch lahm, nur noch, falls wir Bischof Thegan trauen dürfen, gebetet, Almosen gespendet – und die vier Evangelien, das unfehlbare Gotteswort, »verbessert« oder, wie Thegan auch sagt, »aufs Beste korrigiert« (optime correxerat), bevor er am 28. Januar 814 starb. Er hinterließ dem Sohn ein riesiges, von ihm sowie den hochgeschätzten Ahnen und Vorgängern
fast ganz zusammengeraubtes,
aus vier mächtigen Einheiten bestehendes Reich: die Francia, das Zentrum des Staates, mit den Königshöfen, den großen Abteien, ferner die Germania, Aquitania und Italia. 5
Töten und beten
Zwei Bereiche, die jeden christlichen Herrscher seit langem und noch durch viele Jahrhunderte entscheidend bestimmten, prägten auch das Leben des jungen Ludwig: der Krieg und die Kirche.
Alle edlen Christen hatten das sogenannte Kriegshandwerk von früher Kindheit an zu lernen. In der Regel mußten sie bereits bis zur Pubertät im Reiterkampf ausgebildet und mit 14 oder 15 Jahren, manchmal noch früher, zum Waffenführen fähig sein. Und natürlich »brannten die Adeligen darauf, in den Kampf zu ziehen« (Riché). (Dagegen kannte man kaum einen Großen unter ihnen, der Lesen oder gar Schreiben konnte. »Drei Finger schreiben, aber der ganze Körper arbeitet«, lautete ein vielzitiertes Wort. Es verderbe die Augen, hieß es, krümme den Rücken, verletze Rippen und Bauch, die Nieren schmerzen, der ganze Körper nährt den Überdruß.)
Auch Ludwig, der einen kräftigen Körper, starke Arme, der im Reiten, Bogenschießen, Lanzenwerfen »nicht seinesgleichen« hatte, doch nach Auskunft der Forschung friedfertig war, begleitete den Vater auf dessen Verlangen schon bei seiner Awarenvernichtung (IV 485 ff.), jedenfalls bis zum Wiener Wald. Bald darauf, 793, unterstützt er, wieder auf väterlichen Befehl, einen Rachefeldzug seines Bruders Pippin in Süditalien. Erst feiert der katholische Jüngling »das Geburtsfest Christi zu Ravenna«, wie der Verfasser der zweiten zeitgenössischen (allein vollständigen) Biographie Ludwigs schreibt – ein nach eigener Angabe seit 814 am Kaiserhof lebender und wegen seiner sternkundlichen Kenntnisse Astronomus genannter unbekannter Geistlicher der Hofkapelle –, dann »fallen sie mit vereinten Kräften in die Provinz Benevent ein, verwüsten alles, wohin sie kommen ...«
Dabei war Ludwig ein besonders guter Christ, noch besser als der hl. Vater. Eine Fülle zeitgenössischer Zeugnisse, darunter allein 28 Fuldaer Urkunden aus den Jahren 819 bis 838, nennt ihn »pius«, »piissimus«;
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