Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Valéry keine Silbe. Hätte
ich
mir irgendwo derartige Übersetzerfreiheiten herausgenommen, wären mir von der Hilfswissenschaftlerin garantiert »traduttore, traditore«, »Tendenziösität«, ja »Fälschung« nachgesagt worden.)
Im übrigen: von der Trefflichkeit des Valéry-Bonmots, seiner Signifikanz, bin auch ich überzeugt, von der Bedeutung dieses Wortes im Hinblick auf die übliche, von machtpolitischen Kategorien beherrschte Geschichtsschreibung, auf eine Geschichtsschreibung, die zwar stets alles kleine Gangstertum beflissen verteufelt, oft auch bloß vermeintliches, gar erst dazu gemachtes, die großen Geschichtsverbrecher aber devot durch die Zeiten hofiert. Fort und fort stellt diese Geschichtsschreibung die verderblichsten Leitbilder auf. Fort und fort korrumpieren ihre perversen, bösartigen Pseudoideale die Menschheit. Fort und fort hat sie deren aus zutiefst unethischem, menschenverachtendem, aus nur machthörigem, nur erfolgsberauschtem Denken resultierendes Elend kaum weniger mitverschuldet als die glorifizierten Bluthunde selbst. Und als das Christentum. Jenes Christentum, von dem es bei R.-Alföldi (159) im unmittelbaren Anschluß an Konstantins »Wirken« heißt: »auch das Christentum ist in diesem Sinne neu«. Es klingt unziemlich zynisch angesichts seines damaligen ungeheuren Verrats, doch auch unbestreitbar wahr.
Und nichts wurde so fatal für die Völker, zumal für die christlichen, nichts spricht diesem Christentum selbst so vernichtend das Verdikt wie gerade das gerühmte Faktum, daß es »bis heute historisch weiter« führte und führt.
Folgte aber der herkömmlichen, nur die Sieger bekränzenden, nur eine andere Art von Hagiographie pflegenden Historiographie eine herrschaftskritische, eine wirklich ethische Geschichtsbetrachtung und -beurteilung, was wäre wünschenswerter, was den Völkern, diesen immer und immer wieder unterdrückten und verheizten Völkern, nützlicher? Und so erinnere auch ich zum Schluß an ein Dichter- und Denkerwort, an eine Sentenz des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti, die dem ersten Band der
Kriminalgeschichte des Christentums
voransteht: »Den Historikern sind die Kriege wie heilig, diese brechen, heilsame oder unvermeidliche Gewitter, aus der Sphäre des Übernatürlichen in den selbstverständlichen und erklärten Lauf der Welt ein. Ich hasse den Respekt der Historiker vor irgendwas, bloß weil es geschehen ist, ihre gefälschten, nachträglichen Maßstäbe, ihre Ohnmacht, die vor jeder Form von Macht auf dem Bauche liegt.«
1. Kapitel
Kaiser Ludwig I. der Fromme
(814–840)
»Ludwigs Reich sollte ja ein Reich des Friedens sein ... Das schloß jedoch Kriege gegen die Heiden nicht aus, sondern verlangte sie geradezu, da sie als Verbündete Satans galten.«
Heinrich Fichtenau 1
»Wie verhielt sich die Kirche während dieser ganzen traurigen Zeit? Es ist interessant zu beobachten, wie es der Kirche gelingt, in dem Augenblick die Oberhand zu gewinnen, als die Kaisermacht zu verfallen beginnt. Es ist sicher, daß die fränkischen Bischöfe dabei eine entscheidende Rolle spielten ... Allem Anschein nach hielten Männer wie Agobard und Wala, Paschasius Radbert, Bernhart von Vienne und Ebbo von Reims die Fäden dieser verwickelten Intrigen in der Hand und nützten die Habgier und den Ehrgeiz der Laien in der ehrlichsten und selbstlosesten Absicht für die größere Ehre Gottes aus.«
H. Daniel-Rops 2
»Mit dem Reich aber ging es, da jeder von seinen bösen Leidenschaften getrieben, nur seinen Vorteil suchte, von Tag zu Tag schlimmer.«
Nithardi historiarum 3
»...und das Elend der Menschen wuchs vielfach mit jedem Tag.«
Annales Xantenses (834) 4
Karl »der Große«, der Heilige, war nicht nur auf dem Schlachtfeld aktiv. Soweit bekannt, hatte er auch neunzehn Kinder gezeugt, acht Söhne, elf Töchter, und dies mit immerhin neun verschiedenen Frauen – (freilich noch eine fast bescheidene Schar angesichts der 61 Kinder des Bischofs Heinrich von Lüttich, diesem emsigen Arbeiter im Weinberg des Herrn, dem Papst Gregor X. im 13. Jahrhundert allein »innerhalb 22 Monaten 14 Söhne« attestiert).
Trotz des karolingischen Kindersegens aber gab es keine Probleme in der Nachfolgefrage.
Für den Todesfall hatte Karl in der sogenannten Divisio regnorum das Reich unter seine drei Söhne geteilt. Jeder sollte dabei die Defensio sankti Petri übernehmen, den Schutz der römischen Kirche. Doch die beiden Älteren sah der Vater völlig unerwartet
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