Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
seligen Merowinger und Pippiniden, stets von neuem im christlichen Abendland. So liest man wieder: »Doch mit Vertrauen auf Gottes Hilfe zwangen die Unsern, obgleich ungleich und an Zahl weit schwächer als jene, die Feinde dennoch zur Flucht und erfüllten den Weg der Fliehenden mit vielen Toten: und nicht eher ließen sie ab vom Morden (et eo usque manus ab eorum caede non continuerunt), als bis, da die Sonne und mit ihr das Tageslicht geschwunden war und Schatten die Erde deckte, die leuchtenden Sterne erschienen um die Nacht zu erhellen. Hierauf zogen sie unter Christi Beistand mit großer Freude und vielen Schätzen zu den Ihrigen zurück.«
Fast romantisch, so ein kleiner Aderlaß. Und immer eben mit Gott, mit seiner Hilfe, seinem Segen, seinem Schutz. Als man etwa gerade jemand aufhing, »den übrigen fast allen nahm man die Weiber oder die Söhne«, heißt es gleich danach: »Hierauf zogen der König und sein Volk unter Gottes Schutz nach Hause.«
Zuweilen darf Ludwig einen Feldzug nicht »in eigener Person« leiten und begleiten. Doch im nächsten Jahr zieht er wieder gegen Tortosa, »bedrängte und schädigte er die Stadt so durch Mauerböcke, Steinschleudern, Schutzdächer und andere Belagerungsmaschinen, daß ihre Bürger die Hoffnung aufgaben ...« Oder es geht wider die Wasken. Nur auf das »Gerücht« hin, daß sie sich erheben wollten, beschließt der König für »das öffentliche Wohl« einen neuen Kriegszug, überläßt er »alle ihre Besitzungen dem Heere zur Plünderung. Endlich als alles, was ihnen zu gehören schien, zugrunde gerichtet war, kamen sie um Gnade zu flehen und mußten es zuletzt, nachdem sie alles verloren hatten, als ein großes Geschenk betrachten, daß sie Verzeihung erhielten« (Anonymi vita Hludowici).
So erzieht man die Seinen. Kurz, von Mal zu Mal bestätigt sich, daß bei Ludwig dem Frommen, mit Forscher Fichtenau zu sprechen, »die christliche Lehre tiefere Schichten erfaßte ...«
Denn damit das Blut all der barbarisch Hingemetzelten nicht gar zu dick sprudelt, damit es diese Chronik des Grauens nicht ganz und gar ersäuft, wird das Geistliche, Göttliche stets noch stärker aufgetragen und mit dem Blut würdevoll verschmiert. Wie Ludwig so »niemand im Bogenschießen oder Lanzenwerfen gleichkam«, im Gebrauch von Waffentechniken, von Mordinstrumenten, so besaß er, der im strengen Mönchsgeist Aquitaniens Aufgewachsene, der »Adjutor Dei«, der Adjutant, der Helfershelfer sozusagen Gottes, das heißt immer der Kirche, auch eine bemerkenswerte priesterliche Würde, ja gleichsam geistlich begabte Kniee. Chorbischof Thegan sagt deshalb im selben Zusammenhang von ihm: »Niemals erhob er seine Stimme zum Gelächter.« Und: »Wenn er sich täglich morgens zum Gebet in die Kirche begab, beugte er immer die Kniee und berührte mit der Stirn den Fußboden, lange demütig betend, manchmal unter Tränen ...« Kurz, so der bischöfliche Biograph unmittelbar anschließend: »und immer zierten ihn alle guten Sitten.« Ja, »von heiliger Frömmigkeit getrieben«, beteuert auch der Anonymus, ließ er »nichts ungeschehen, wovon er meinte, daß es zur Ehre der heiligen Kirche Gottes gereichen könnte.«
Ludwig der Fromme stand seit seiner Kindheit unter dem Einfluß des Klerus. Er war deshalb von früh an so kirchenhörig, daß ihn nur der Vater gehindert hatte, Mönch zu werden. Wie ihm denn auch der Astronomus nachrühmt, er sei derart »für den göttlichen Dienst und die Erhöhung der heiligen Kirche besorgt, so daß man ihn nach seinen Werken eher einen Priester als einen König nennen möchte«. Ludwig, pietistisch, hyperklerikal, auch der von seinem Vater gepflegten Bildung eher feindlich, ersetzte in Aachen nicht nur genußsüchtige Höflinge durch Kleriker, sondern vertrieb auch alle Prostituierten und steckte seine Schwestern ins Kloster (S. 33).
Dementsprechend sind seine Regierungsmaßnahmen von kirchlichen Vorstellungen geprägt oder durch Prälaten mit-, wenn nicht oft allein bestimmt. Auch als es seit 819 personelle Änderungen unter seinen Beratern gibt, als Erzbischof Hildebald von Köln stirbt, Abt Helisachar sich zurückzieht, stehen die neuen Räte, allen voran der Erzkapellan und Leiter der Hofkapelle, Abt Hilduin von St-Denis, Abt auch von St-Germaine-des-Prés, von St-Médard bei Soissons, St-Ouen in Rouen und Salonne, natürlich nicht nur der Kirche nahe, sondern sind wieder meist Geistliche, ja, vertreten in Kirchenfragen eine eher »noch radikalere
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