Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
den Krieg erklärt, das er noch zu Beginn seiner Regierung eifrig vertreten, angeblich sogar durch das Hinschlachten von Menschen, wie den Opfertod eines jungen christlichen Warägers. Ja, das Bild des Perun, des vornehmsten russischen und polnischen, auch als Herr der ganzen Welt gedachten Gottes, dessen Hauptverehrung in Kiew war, wo vor ihm ein ewiges Feuer brannte, dieses Bild, von Vladimir selbst noch wenige Jahre zuvor in der Stadt zu neuen Ehren gebracht, wurde jetzt an einen Pferdeschweif gebunden, ausgepeitscht und in den Dnjepr gestürzt, auch alle übrigen Götterbilder beseitigt, allmählich die heiligen Stätten der Altgläubigen in ganz Rußland verheert und durch Kirchen ersetzt.
Was tat es da, daß der Heilige, der Große und Apostelgleiche, allzeit ein geiler Bock war!
Zwar soll Vladimir, der in einem Palast residierte, den, nimmt man an, mindestens siebenhundert Menschen bewohnten, nur vor seiner Bekehrung ein weiberbesessener Lüstling gewesen sein. Doch dies ist die Darstellung der überaus tendenziösen, mehrfach redigierten »Nestor-Chronik«. »Unersättlich war er in der Wollust«, steht da, »Frauen und Mädchen ließ er sich zuführen, um sie zu entehren, denn er war ein Liebhaber des weiblichen Geschlechts gleich Salomo«. Neben fünf legitimen Gattinen soll er in Wyschegorod, Bjelgorod und Berestow mehrere Harems mit insgesamt achthundert Beischläferinnen aus allen benachbarten Völkern gehabt haben – ein Massenfeinschmecker, der freilich »auch nach der Taufe die Polygamie fortsetzte« (Wetzer/Welte); ein »Wüstling«, von dem Bischof Thietmar von Merseburg festhält: »Um seine angeborene Bereitschaft zur Sünde noch weiter zu steigern, trug der König eine Reizbinde um die Lenden.« Und als er sein Heiligenleben schon lange geführt, wurde er 1015 inmitten der von ihm selbst erbauten Kiewer Muttergotteskirche, später die »Zehntkirche« (desjatinnaja cerkov') genannt, an der Seite seiner Gattin Anna, der purpurgeborenen, begraben. 41
Nach Vladimirs Tod am 15. Juli 1015 kämpfte man gleich wieder um die Nachfolge, wobei seine jüngeren Söhne Boris und Gleb alsbald ermordet (und 1072 kanonisiert) worden sind. Die hagiographische Tradition schreibt die Bluttat ihrem ältesten Bruder, dem Thronerben Svjatopolk zu. Aber: »Als Urheber ihrer Ermordung kommt auch der Gewinner der Auseinandersetzungen, Jaroslav I., in Betracht« (A. Poppe); »der Weise« also, der durch seine großen kirchenpolitischen Aktivitäten bei der Geistlichkeit äußerst beliebte weitere Sohn Vladimirs des Heiligen. Jaroslaw vermochte allerdings erst 1036, nach zwei Jahrzehnten fortwährender Fehden mit der Verwandtschaft, sich gänzlich durchzusetzen. Und nach seinem Abtritt (1054) stritten seine Söhne und Enkel erneut um die Macht. Die Bruderkriege rissen nie ab. Und dies, obwohl man die vertragschließenden Fürsten durch einen Eid band, der noch verstärkt war durch die kirchliche Zeremonie der Kreuzküssung. In den 170 Jahren nach Jaroslaw des Weisen Tod hat man nicht weniger als 83 Bürgerkriege und 62 Kriege mit anderen Völkern gezählt, die das Reich von Kiew führte.
Die christliche Saat ging immer herrlicher auf.
Doch, mit Bischof Thietmar zu sprechen: »Quia nunc paululum declinavi, redeam ... Jetzt bin ich etwas abgeschweift, also zurück!« 42
Schon vor Ottos mißglücktem Intermezzo in Kiew hatte er in Dänemark, wo König Harald Blauzahn vorerst noch Heide war, Markgraf Hermann Billung wirkte und es häufig Grenzgefechte gab, die jütländischen Bistümer Schleswig, Ribe und Aarhus dem Erzbischof Adaldag von Hamburg-Bremen, dem Nachfolger Unnis unterstellt. Dadurch sollte der deutsche Einfluß im Norden gestärkt und energisch die Kirchenherrschaft ausgebreitet werden.
Die »missionarischen« Mühen um diese Himmelsstriche reichen freilich viel weiter zurück.
Skandinavienpolitik – Krieg und Geschäft um Gottes willen?
Im Rahmen der karolingischen Skandinavienpolitik waren zunächst zwei prominente Heilsverkünder besonders tätig geworden.
Zuerst trat 823 der eigentliche Initiator der Frohen Botschaft unter den Dänen in Erscheinung, der von Papst Paschalis I. zum Legaten des Nordens ernannte Erzbischof Ebo von Reims, jener begnadete Opportunist also, der mehrfach in schönster Pfaffenart die politischen Fronten gewechselt (S. 84 f., 89 ff.), übrigens auch ein Papstschreiben zu seinen Gunsten gefälscht hat.
Drei Jahre später ließ sich in Ludwigs des Frommen Ingelheimer Pfalz
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