Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
erhielten Würzburg und Paderborn weitere Grafschaften. Natürlich verschwanden dort die königlichen Beamten. »Der Bischof war der Inhaber aller weltlichen Gewalt, er war im eigentlichen Sinn des Worts zum Fürsten geworden«, ja er sollte »keiner politischen Macht außer dem König unterworfen sein« (A. Hauck). Ist es doch bereits unter Otto III. »die offizielle Anschauung, daß die geistlichen den Laienfürsten, selbst wenn diese zu der kaiserlichen Familie gehören, im Range voranstehen« (Böhmer).
Otto III., der »imperiale Politik mit missionarischer Tendenz« trieb (Fleckenstein), wie gewiß nicht wenige seiner Vorgänger, war persönlich noch mehr als andere christliche Könige und Kaiser der Religion ergeben und dachte alle seine Taten dem »Nutzen der Kirche« zu (Schramm). Otto III. ist fünfzehn, als er Kaiser wird, und einundzwanzig, als er stirbt! Wie muß dies empfängliche, schwärmerische, lebhafte Gemüt der hohe Klerus um ihn her beeinflußt haben – und der Pietismus seiner Zeit, Askese, Mystik, der cluniazensische Fanatismus. »Unser, unser ist das römische Reich!«, jauchzt Gerbert-Papst Silvester brieflich dem Jüngling entgegen. Noster, noster est Romanum imperium. »Unser bist du, Cäsar, Imperator der Römer und Augustus ...« Unser!
Otto fügt seinem Titel apostolische Devotionsformeln hinzu: »Knecht Jesu Christi«, »Knecht der Apostel«, »nach dem Willen Jesu Christi römischer Kaiser, der heiligen Kirchen frömmster und getreuester Ausbreiter«. Er legt sich wiederholt schwere Bußübungen auf, fastet zuweilen fünf Tage in der Woche, betet manchmal angeblich ganze Nächte. Er läßt sich in Gnesen am Grab des hl. Adalbert geißeln. Er macht im Winter und Frühjahr 999 von Rom aus eine weite Wallfahrt nach Benevent zu Fuß, zum Heiligtum des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano. Noch im Sommer geht er nach Subiaco im Sabinergebirge, um sich in das Andenken des hl. Benedikt zu versenken. Mit einem Vertrauten, Bischof Franko von Worms, verschließt er sich vierzehn Tage in einer Höhle (spelunca) neben der Kirche S. Clemente in Rom, um zu büßen. Er weint wiederholt mit frommen Eremiten und führt »Reliquien« Karls »des Großen« mit sich, u.a. einen Zahn, den er von der Leiche an sich nahm. »Unser bist du ...« 7
Im September 994 endete mit Ottos Schwertleite, seiner »Wehrhaftmachung« (auf einem, so vermutet man, ohne den Zeitpunkt genau festlegen zu können, Hoftag in Sohlingen), die Vormundschaft der Kaiserwitwe Adelheid. Sie zog sich darauf in ihr elsässisches Kloster Selz zurück (S. 547), und Otto III. trat die faktische Herrschaft an. Ein Verwüstungszug führte ihn, unterstützt von polnischen und böhmischen Haufen, noch im Sommer 995 gegen die Obodriten in Ostholstein und Mecklenburg, worauf er das Bistum Meißen erstaunlich erweitert und die Zehnteinkünfte vervielfacht hat – falls die Königsurkunde, wie oft gemutmaßt und behauptet, nicht gefälscht ist.
Dann trieb es den jungen Herrscher mächtig in den Süden. Unter Psalmengesang zog er 995 aus Regensburg. Noch im Winter, sehr ungewöhnlich, überschritt er den Brenner, wobei er dem Heer die Heilige Lanze vorantragen ließ, Symbol des Anspruchs auf Italien und das Kaisertum. In Pavia huldigten ihm die italienischen Großen und leisteten ihm den Treueid. Am 20. Mai erschien Otto vor Rom. 8
Szenen um den Heiligen Stuhl
Am päpstlichen Hof ging es inzwischen, wie üblich in jener Zeit, recht bewegt zu.
In den Wirren nach Ottos II. Tod war Bonifatius VII. (S. 536 f.) im Frühjahr 984, wohl versehen mit Waffen und Gold aus Konstantinopel in die Heilige Stadt zurückgekehrt. Er ließ den regierenden Papst, den ehemaligen italienischen Kanzler Ottos II., Bischof Petrus von Pavia, Johann XIV. (983–984) absetzen, mißhandeln, vier Monate in ein Verlies der Engelsburg stecken, dann verhungern oder, nach anderen Meldungen, vergiften (die Grabinschrift in St. Peter übergeht dezent die Todesumstände). Und regierte als Bonifaz VII. nun ein Jährchen, ehe man ihn selber liquidierte; ihm das Pontifikalgehänge herunterriß, die nackte Leiche trat, zerstach, an den Beinen aus dem Palast und durch die Gassen schleifte.
Auf Bonifaz VII., den der Volksmund später »Malefatius«, Gerbert von Aurillac »monstrum horrendum« nennt, Rom aber erst 1904 als Gegenpapst einstuft, folgte Ende Juli der Römer Johann XV. (985–996). Er verdankte dies, nebst dem Heiligen Geist, offenbar der Familie der mächtigen
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