Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Mißernte, greulichen Aberglauben, Auflehnung der Magnaten, Habgier der Beamten, der Grafen, Bestechlichkeit, Simonie, sittliche Verwilderung des Klerus, Hurerei, Päderastie, Sodomie, Raubzüge der Heiden etc. etc., kurz, als man alles Übel nach bewährtem Brauch auf den göttlichen Zorn über die Sünden der Christenheit zurückführte, für die Priester jedoch Befreiung von Abgaben forderte, Verzicht des Kaisers auf jede Einmischung in kirchliche Angelegenheiten, hatte er es da nicht als Aufgabe der Bischöfe bezeichnet zu erforschen, welch spezielle Sünden das Elend verschuldet, damit man sie gehörig sühnen könne? Und auch 829, auf der Pariser Synode, sprachen die Prälaten der geistlichen Gewalt ausdrücklich den Vorrang vor der königlichen zu. 53
In die schlimmsten innenpolitischen Bedrängnisse mit zweifellos weltgeschichtlichen Folgen aber glitt Ludwig durch ein Ereignis, das normalerweise als freudiges gilt: durch die Geburt eines Kindes, eines nachgeborenen Sohnes.
Katholiken unter sich: Der erste Aufstand
Kaiserin Ermengard hatte dem Herrscher drei Söhne zur Welt gebracht: Lothar (795), Pippin (797) und Ludwig (806). Als sie nach etwa zwanzigjähriger Ehe am 3. Oktober 818 in Angers starb, fürchtete man, den frommen Witwer im Kloster verschwinden zu sehen. Und natürlich galt dem Klerus »mönchische Gesinnung auf dem Thron mehr ... als ein Kaiser im Mönchsgewande zwischen Klostermauern« (Luden). So präsentierte man ihm auf einer Art Schönheitskonkurrenz, einer »Besichtigung«, wie der nüchterne Reichsannalist etwas undelikat formuliert, eine Auswahl des Hochadels. Und der für Frauen keinesfalls unempfängliche Karolinger entschied sich für die Tochter des Grafen Welf, Judith, die sich nicht nur durch ihre Abkunft empfahl – das ursprünglich fränkische, dann vor allem in Alemannien und Bayern begüterte ältere Welfengeschlecht –, sondern die angeblich alle Vorzüge in sich vereinigte, ungewöhnlich »süß und verführerisch« war (Erzbischof Agobard), doch auch reich, geistvoll, gebildet. Schon wenige Monate nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete sie der Kaiser Anfang 819, und nach einer Tochter Gisela gebar sie am 13. Juni 823 in der neuen Pfalz zu Frankfurt einen Sohn, der nach dem Großvater den Namen Karl und später den Beinamen »der Kahle« bekam. 54
Denn kraft der Bemühungen der Mutter, dem kleinen Nachzügler ebenfalls ein Erbe wie seinen Stiefbrüdern zu sichern, durch diese nun unentwegten Einmischungen der so anziehenden wie willensstarken jugendlichen Welfin, nahm die Geschichte einen anderen Verlauf; wurde Ludwigs eigene Ordinatio imperii, die doch so feierlich beschworene, auf »Gottes Eingebung« hin geschaffene Erbfolgeordnung von 817 (S. 38 ff.), die das Reich bereits unter seine Söhne aus erster Ehe aufgeteilt hatte, völlig umgestoßen und statt der Dreiteilung eine Vierteilung vorgenommen.
Prinz Karl war 829 erst sechs Jahre alt, als ihn Ludwig auf dem Wormser Reichstag zum König von Alemannien bestimmte, dem Stammland seiner Mutter, ihm dazu das Elsaß, Rätien sowie Teile von Burgund verlieh. Und infolge der jetzt einsetzenden, wohl meist von der Kaiserin ausgehenden Kabalen wurde Ludwig mit seinen älteren Söhnen verfeindet, wurde Lothar gegen die Brüder, die Brüder gegen Lothar, doch auch ein Bruder gegen den anderen ausgespielt, kurz, Demoralisation, Korruption, Bestechung, Verrat zu Hauf. Und, weißgott, nicht zufällig gingen all dem Zeichen voraus, verfinsterte sich der Mond am 1. Juli in der Dämmerung und noch einmal am 25. Dezember 828 um Mitternacht. Ja, während der kommenden »heiligen vierzigtägigen Fastenzeit«, vor dem »heiligen Osterfest«, räumte ein nächtliches Erdbeben samt heftigem Sturmwind zu Aachen selbst die mit Bleiplatten gedeckte »Kirche der heiligen Mutter Gottes zu einem nicht geringen Teil ab« (Reichsannalen). Ergo ging es bald mit dem Reich »von Tag zu Tag schlimmer«. 55
Die erste Empörung 830 gegen den Senior leitete in dem frommen und doch so familienfreundlichen Abendland ein Jahrzehnt fortgesetzter Palastrebellionen und Bürgerkriege ein.
Die älteren Söhne des Kaisers waren über die Entwicklung begreiflicherweise erbittert. Zumal Lothar, dessen Reich man kräftig zugunsten Karls geschmälert, sah außerdem seine künftige Vorherrschaft gefährdet. Doch auch das jüngere Brüderpaar Pippin und Ludwig bedrohte weiterer Gebietsverlust. Ebenso bangte die auf die Reichseinheit bedachte kirchliche
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