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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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ausdrücklich sanktioniert, um die fast üblichen Unruhen bei den Papstwahlen zu verhindern. Ja, Lothars Konstitution kam noch in die kanonistischen Sammlungen der Zeit Gregors VII., wenn auch, wen wundert's (vgl. S. 181 ff.) – »verstümmelt und zurecht gerichtet« (Mühlbacher). 51

Die fränkischen Bischöfe demütigen den Kaiser und wollen selbst von niemandem gerichtet werden

    Wie die Hirten in Rom, wurden allmählich auch die im Reich immer aufsässiger. Das lag gewiß nicht an ihnen allein, lag ebenso an ihren weltlichen Mit- und gelegentlichen Gegenspielern. Denn Priester wissen stets recht gut, wann sie zu kuschen haben, wann sie bellen, zupacken, wann sie beißen können.
    Ludwig der Fromme, viel weicher als der »große« Vater, viel weniger energisch, brutal, hatte dementsprechend auch viel geringere »Erfolge« – in der Außenpolitik, gegen Dänen, Bulgaren, Mauren, aber auch im Reich und, bei allem Reformeifer, vielleicht deshalb, in der Kirche.
    Die Bischöfe waren zwar bereit, die Könige zu salben, zu krönen, sie über alle Laien zu erheben, doch dafür wollten sie auch selbst über allen Fürsten stehn. Sie erstrebten einen theokratischen Staat und machten Ludwig zu einem König »von ihrer Gnade« (Halphen). Und verzichtete dieser gegenüber Rom schon bald auf die Bestätigung der Papstwahl, auf die Inspektion im Kirchenstaat, unterlag er innenpolitisch dem Episkopat zeitweise noch viel mehr.
    Im August 822 erschien der Kaiser auf der Reichsversammlung von Attingny in der dortigen Kirche im Büßergewand und legte ein öffentliches Reuebekenntnis ab. Es geschah auf den Rat der Prälaten. Er gestand die Mitschuld am Tod seines Neffen Bernhard, sein Unrecht gegenüber den Stiefbrüdern, Vettern und anderen. Er demütigte sich, wie dies sein Vater nie getan hat und hätte; er unterwarf sich dem Urteil der Priester. Damals verlangte Agobard von Lyon die Rückerstattung aller Güter, die frühere Fürsten der Kirche genommen!
    Ludwig trug es zerknirscht, jagte Truppen nach allen Richtungen, schickte ein Heer nach Pannonien, ein zweites in die spanische, ein drittes in die bretonische Mark – und lag selber »nach der Sitte der fränkischen Könige während der Herbstzeit der Jagd ob ...« All das, immer wieder zu bedenken, ist Teil christlich-abendländischer Kultur, kein akzidenteller, sondern ein essentieller Teil.
    Ebenso dies.
    Bemüht nämlich, sich den Staat unterzuordnen, forderten die Bischöfe 829 in Paris, im Rückgriff auf die ungewöhnlich hochfahrenden Lehren von Papst Gelasius I. (II 324 ff.), daß sie niemand richten dürfe, daß sie selber nur Gott verantwortlich seien, die übrigen Großen aber ihnen, den Bischöfen. Ja, ihre »auctoritas« stehe auch über der »potestas« des Königs, des Kaisers, der andernfalls zum Tyrannen werde und jedes moralische Recht auf seine Herrschaft verliere.
    Ihre Anmaßung, mitunter in Floskeln scheinbarer Bescheidenheit, in Pseudo-Ehrerbietung gekleidet – die notorische Pfaffenheuchelei –, konnte kaum größer sein. Sie lobten, hierin sogar aufrichtig, die Demut der Kaiser, denn Demut bei andern finden sie stets sehr verdienstvoll. Sie aber traten als jene auf, denen der Herr Gewalt gab, zu binden und zu lösen, und erinnerten selbstgefällig an das angebliche Kaiser-Konstantin-Wort zu den Bischöfen (aus Rufins ominöser Kirchengeschichte): »Gott hat euch zu Priestern eingesetzt und euch die Macht gegeben, auch über uns zu richten. Deshalb werden wir von euch mit Recht gerichtet; ihr jedoch könnt von Menschen nicht gerichtet werden.« Zu wohlerfunden, um wahr zu sein. Dagegen glaubt man ihnen gern, plädieren sie mit allem Nachdruck für das Kirchengut – das sie selber nicht zusammenhielten, mit dem sie oft umsprangen wie mit Privatbesitz. Nur Neidern, so erklären sie, erscheine es zuviel; tatsächlich könne es, »recht« verwendet, »nie zu viel sein«! 52
    Nun, das verfolgen wir. (Vgl. jedoch schon: III 435 ff., bes. 465 ff.!)
    Verriet all dies bereits eine kaum zu überbietende episkopale Arroganz, Herrschgier, trieben sie es bald noch widerlicher beim Streit Ludwigs mit seinen Söhnen.
    Aber hatte den der Regent nicht selbst durch seine Ergebenheit provoziert? Hatte er nicht selber bei den Beratungen in Aachen Mitte Dezember 828, als man alles Unheil, Hungersnot – grassierend freilich »während des ganzen Mittelalters« (Goetz), eine »wilde Welt, eine Welt in den Fängen des Hungers« (Duby) –, als man Armut, Seuchen,

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