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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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noch heute das Gros der Historiker glorifiziert!
    Wie seinerzeit schon die frommen Seelenhirten. Die andererseits den Sohn verachteten, zumindest zur Zeit seiner Erniedrigung, seiner Niederlage den Besiegten, durch dessen »Kurzsichtigkeit«, »Nachlässigkeit«, wie sie jetzt schrieben, das Reich »zu solcher Schmach und Erbärmlichkeit herabsank, daß es nicht nur den Freunden zur Trauer, sondern auch den Feinden zum Spotte wurde, und wie derselbe Fürst das ihm anvertraute Amt nachlässig geführt und vieles, was Gott und den Menschen mißfiel, sowohl tat als zu tun veranlaßte oder geschehen ließ und in vielen verruchten Anschlägen Gott reizte und der heiligen Kirche Ärgernis gab ... und wie durch göttliches und gerechtes Urteil ihm plötzlich die kaiserliche Macht genommen wurde«.
    In Gruppen und gemeinsam bearbeiteten die Kirchenfürsten den Gefangenen, »schmiedeten sie viele Anklagen gegen den Kaiser«, führten sie ihm »fleißig« zu Gemüte, »wodurch er Gott beleidigt und der heiligen Kirche Ärgernis gegeben ...« Und so soll er »gern ihrem Rat und ihren sehr heilsamen Ermahnungen« gehorcht haben; was aber wohl gelogen ist. Liest man ja auch: »Er jedoch weigerte sich und fügte sich ihrem Willen nicht. Alle Bischöfe aber bedrängten ihn hart und vor allem die, welche er aus dem Zustand der niedrigsten Knechtschaft zu Ehren gebracht hatte ...« (Thegan); »und so lange peinigten sie den Kaiser, bis sie ihn dahin brachten, die Waffen abzulegen und seine Kleidung zu ändern, und ihn von der Schwelle der Kirche verstießen, so daß niemand mit ihm zu sprechen wagte, außer denen, welche dazu verordnet waren« (Annales Bertiniani). Er legte, melden die Annales Fuldenses, »nach dem Urteil der Bischöfe die Waffen ab und wurde um Buße zu tun eingesperrt«.
    Ludwig soll sich in St-Médard, wo ihm die Prälaten noch einmal die Leviten lasen, tief gedemütigt, dreimal oder noch öfter vor den Oberhirten und einer Menge anderer Kleriker niedergeworfen, alles, was er eingestehen sollte, in ihm offenbar eingetrichterten Sprüchen – die auch heute noch praktizierte Gehirnwäsche – eingestanden und um Vergebung gebeten haben.
    Zum Auskosten ihrer Häme hatten die Hierarchen dies Schauspiel in der Marienkirche des Klosters vor dem Altar inszeniert. Im Beisein eines großen Volkshaufens ließen sie den auf ein härenes Bußgewand ausgestreckten Kaiser – »mit lauter Stimme unter reichlichem Tränenstrom ...« – drei-, viermal das von ihnen verfaßte Sündenbekenntnis verlesen, worin sie ihn für fast alles Elend des Reiches, auch sofern er nur mittelbar, nur passiv daran beteiligt war, verantwortlich machten; besonders für drei Kapitalverbrechen: sacrilegium, homicidium, periurium, für Störung des öffentlichen Friedens, Verbannung, Mord, Totschlag, Tempelschändung, Kirchenraub, Konfiskation, Plünderung, Notzucht, Bürgerkrieg, überhaupt für Vergehen gegen göttliches und menschliches Recht, für Ärgernis und Eidbrüchigkeit, Unfähigkeit und willkürliche Reichsteilung etc. etc. – alles »nach dem Urteil der Priester«. Er mußte dies lange Schandregister schriftlich den Seelenhirten überreichen, mußte seine Waffen vor dem Altar, »vor dem Leichnam des heiligen Bekenners Medardus und des heiligen Märtyrers Sebastian« (S. 584) niederlegen, sein Oberkleid ausziehen und unter Psalmen und Gebeten das Büßergewand empfangen, in das ihn die geistlichen Herren gleich eigenhändig steckten. 65
    Die ganze Prozedur sollte einerseits den Monarchen moralisch vernichten, ihn unfähig machen, auf den Thron zurückzukehren, ja, nur Waffen zu tragen – das kanonische Recht schloß dies, wie auch Ludwig wußte, nach einer öffentlichen Kirchenbuße aus. Andererseits sollte die ungeheuere Herabsetzung die volle Superiorität der Bischöfe demonstrieren.
    In einer Denkschrift, in der sie sich selbst als »die Vertreter Christi und Schlüsselträger des Himmelreiches« feierten, »die das Recht zu binden und zu lösen auf Erden wie im Himmel besitzen«, verkündeten sie auch dem gemeinen Christenhaufen: »Weil dieser Fürst das ihm anvertraute Amt nachlässig gehandhabt, in vielen verwerflichen Entschließungen Gott beleidigt und die heilige Kirche skandaliziert und jüngst erst alles Volk, das ihm Untertan war, zum gänzlichen Untergang gebracht hat, so sei von ihm kraft göttlichen und gerechten Richterspruches die kaiserliche Gewalt genommen worden, nach göttlichem Beschlusse und kirchlicher

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