Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Kirchenoberen zunächst noch zum alten Herrn und erinnerte brieflich den »Bruder Papst« an seinen Treueid, den er Ludwig geschworen, ja, drohte bei feindseligen Maßregeln mit Exkommunikation. Eine kleinere Prälatengruppe, darunter Abt Wala und Agobard, hielt aber zum Papst, der Gehorsam forderte, auch wenn seinem Befehl einer Ludwigs entgegenstehe, weil das geistliche Amt bedeutsamer sei als das weltliche, die Leitung der Seelen wichtiger als alles Zeitliche und überhaupt das Papsttum dem Kaisertum übergeordnet – eine Behauptung, die spätere Päpste unablässig den Kaisern entgegenschleudern. Doch hatte Gregor ganz recht, schmähte er die Bischöfe (freilich nur seine Gegner), unbeständig wie der Wind und das schwankende Rohr, charakterlose Schwächlinge und egoistische Kriecher vor der weltlichen Gewalt. 59
Da Ludwig zu unterliegen drohte, harrten immer weniger Prälaten bei ihm aus. Der Papst schimpfte deren Schreiben hochmütig, dumm und bestritt heftig den ihm von den Kaiserlichen allseits gemachten Vorwurf, er sei bloß als Werkzeug der Söhne gekommen, um über deren Gegner den Bann zu verhängen.
Zwischen Straßburg und Basel, in der weiten Ebene auf dem Rotfeld bei Colmar – vom Volksmund angeblich schon bald das »Lügenfeld« (Campus-mentitus), von schwäbischen Annalisten »die Schande der Franken« (Francorum dedecus) genannt – lag man einander im Juni 833 tagelang nahe in Kampf Ordnung gegenüber. Und während Gregor IV., alte Pfaffen-Taktik, stets nur das eine Ziel betonte, Frieden zwischen den streitenden Parteien zu stiften, während er auch, doch nur kurz (non diu), sagt Thegan, im Auftrag der Söhne mit ihrem Vater verhandelte, übernahm er »die führende Rolle« in den Verfahren, »die in der Absetzung des Kaisers gipfelten« (Dawson), und ließ sich zu einem »bedauerlichen Schuldspruch ... verleiten« (Grotz S.J.).
Es ist klar, daß der Papst die Erhebung für die Masse rechtfertigen, den zaudernden Rest auf die Seite der Rebellen ziehen sollte. Just nach seiner Rückkehr zu den Brüdern ging auch fast Ludwigs ganzes Heer (trotz dessen zusätzlichen Treueides, wider seine Söhne wie gegen Feinde sich zu schlagen), verräterisch zu diesen über – »wie ein Wildbach«, schreibt der Astronom, »teils durch Geschenke verführt, teils durch Drohungen erschreckt«, worin der Klerus auf Lothars Seite ein göttliches Wunder erkannte. Und nun wechselten auch die meisten Bischöfe, die vordem Gregor IV. mit der Absetzung gedroht, die Fronten, so daß dieser, der seine Schuldigkeit getan, nach Rom zurückkehren konnte – mit Lothars Zustimmung. 60
Der alte Kaiser aber mußte in jenem Sommer sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Er galt jetzt als durch Gottes Hand gestürzt, als »Unkönig«, zweiter Saul, und die Bischöfe und andere taten ihm, so Chorbischof Thegan, »viel Leids an«. Lothar hatte den Vater zunächst mit durch die Vogesen geführt, über Metz, Verdun nach Soissons, wo Ludwig im Kloster St.-Médard eingekerkert, der erst zehnjährige Karl ihm weggenommen und in das Eifelkloster Prüm gesteckt wurde, in strenge Haft – wie ein Schwerverbrecher, meint Karl später, doch machte man ihn nicht zum Mönch. Die Brüder Judiths aber kamen geschoren nach Aquitanien in Pippins Gewalt, während sie selbst gleich mit Gregor nach Italien befördert und dort nach Tortona verbannt worden war.
Mit päpstlicher Billigung dekretierte man den Übergang des Reiches vom alten Kaiser – von den Bischöfen nur noch der »ehemalige Kaiser«, der »ehrwürdige Mann« oder auch »Herr Ludwig« genannt – auf Lothar. Er kassierte den größten Teil der Beute, das dem kleinen Stiefbruder zugedachte Erbe mit Ausnahme Alemanniens (das Ludwig der Deutsche mit fast dem ganzen östlichen Reichsteil bekam).
Der Sieger datierte nun seine Urkunden nach »der Regierung Kaiser Lothars in Francien«. Und auch aus den Diplomen Ludwigs (des Deutschen) schwand die Oberherrlichkeit des Seniors. Ludwig urkundete nicht mehr als rex Baioariorum, sondern als rex und datierte nach seinen Regierungsjahren »in orientali Francia« (erstmals am 19. Oktober 833). Nur Pippin von Aquitanien datierte noch nach dem Kaiser. Im übrigen wurde das Reich zwischen den drei Brüdern von neuem geteilt. Und wenn Lothar auch an die Stelle des Vaters trat und der Hauptgewinner war, so gewannen doch auch die beiden anderen Brüder dazu; und aller drei Länder standen selbständig nebeneinander. Stiefbruder Karl freilich hatte man
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