Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Hugo, Lambert, Matfried, »über die Frage, wer von ihnen im Reich nach Lothar die zweite Stelle einnehmen sollte«. Kurz, »jeder«, fährt Nithard fort, »war auf seinen eigenen Vorteil bedacht« – wie die (meisten) Politiker noch heute. (»Anachronistisch« wieder?) 69
Unter solchen Streitereien schlug die Stimmung abermals um. Man verdachte Lothar nicht nur sein habgieriges, gewalttätiges Verhalten, sondern offenbar auch die unbarmherzige Behandlung des ständig von ihm mitgeschleppten Vaters. Ludwig (der Deutsche), der bei einer neuerlichen Wende wohl am wenigsten zu riskieren und verlieren hatte, war schon im Winter 833/34 für den Vater eingetreten, dabei von Hrabanus Maurus, dem Fuldaer Abt, unterstützt (S. 79). Und auch Pippin von Aquitanien änderte offenbar seine Haltung wieder, zumal er einen Angriff Lothars auf sein Reich befürchtete, dieser überhaupt den ganzen Gewinn einzusacken entschlossen und die Herrschaft über das Reich anzustreben schien. Als dann freilich beide Brüder mit zwei Heeren auf ihn zuzogen, Ludwig von Osten, Pippin von Westen, verlor er den Mut, ergriff die Flucht und ließ den alten Kaiser in Saint-Denis zurück, ebenso den jungen Karl, den er aus Prüm geholt.
Während Lothar am 28. Februar mit seinem Anhang nach Burgund floh, kam das gewissenlose Pack der Kirchenfürsten, das Ludwig entthront hatte, nach Saint-Denis, nahm diesen schon am nächsten Tag, am Sonntag, den 1. März 834, feierlich wieder in die Kirche auf und huldigte ihm. »Kaum hatte sich Lothar entfernt, so traten die anwesenden Bischöfe zusammen, sprachen in der Kirche des heiligen Dionysius den Kaiser von aller Buße los und legten ihm seine königlichen Gewänder und Waffen an« (Annales Bertiniani) – die sie ihm vordem abgenommen – und »brachten Gott demütig Lobgesänge dar« (laudes Deo devote referunt: Nithard).
Die meisten Oberhirten wechselten sofort die Front. Natürlich hatte man vorher bei Ludwig angefragt, »ob er, wenn ihm die Herrschaft wieder zugewendet würde, das Reich und vor allem den Gottesdienst, den Wahrer und Lenker aller Ordnung, nach Kräften aufrichten und fördern wolle«. Und natürlich hatte sich der fromme Ludwig »hierzu ohne weiteres bereit erklärt«. Ergo »beschloß man schnell seine Wiedereinsetzung« (Nithard). Und selbstverständlich wußte der Kaiser, was er jetzt zu tun hatte, nämlich »vieles Schlechte, was sich eingewurzelt«, abzustellen, »vorzüglich aber folgendes. Er befahl seinem Sohne Pippin durch den Abt Hermold die geistlichen Güter in seinem Reiche, welche er entweder selbst den Seinigen geschenkt, oder diese sich selbst zugeeignet hatten, ohne Zögern den Kirchen wieder zurückzugeben. Auch schickte er Sendboten in den Städten und Klöstern umher, um das fast ganz verfallene Kirchenwesen wieder aufzurichten ...« (Anonymi vita Hludowici).
Lothar hatte inzwischen sein Heer in den Diözesen seiner getreuesten Genossen, der Erzbischöfe von Lyon und Vienne, verstärkt. Und während Kaiser Ludwig, nachdem er »mit gewohnter Andacht das heilige Osterfest« gefeiert, sich bereits wieder weidlich mit sportlichem Tieretöten »vergnügte«, erst in den Ardennen, darauf, nach Pfingsten, noch in den Vogesen jagte und fischte, siegte die Partei Lothars 834 in einem blutigen Gefecht über ein weit stärkeres kaiserliches Kontingent. Man kämpfte an der Grenze der bretonischen Mark, wobei Bischof Jonas von Orléans, Abt Boso von Fleury sowie viele andere Prälaten mitfochten und zahlreiche Große Ludwigs fielen, darunter auch sein Kanzler Abt Theoto von Marmoutier lès Tours.
Lothar fühlte sich ermutigt.
Er zog gegen Châlon sur Saône, ein wichtiges Waffenlager seiner Gegner, äscherte die ganze Umgebung ein und ließ dann die mehrere Tage lang berannte Stadt, nach einem Vergleich mit ihr, plündern und niederbrennen. Dabei wurden – gute Katholikenarbeit – »nach Art grausamer Sieger erst die Kirchen ausgeraubt und verwüstet«, darauf die führenden Verteidiger, Graf Gauzhelm von Roussillon, Graf Sanila, der königliche Vasall Madahelm geköpft – Chorbischof Thegan spricht gleich von »Märtyrern«, die übrigen Grafen in Gefangenschaft geschleppt. Sogar die Schwester Herzog Bernhards von Septimanien, die Nonne Gerberga, kam als »Giftmischerin« in ein Weinfaß und wurde in der Saône ertränkt. »Und er peinigte sie lange«, schreibt Thegan, »schließlich ließ er sie töten nach dem Urteil der Frauen seiner nichtswürdigen Ratgeber, erfüllend
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